23. Oktober 2009

# 13 Epilog / Hamburg


Du bist wieder hier in Deutschland. Hast dich ja gar nicht verändert! Wie war Indien? Hast du einen Kulturschock?
Indien war toll. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. All die vielen visuellen und emotionalen Eindrücke, aufregenden und einzigartigen Erlebnisse, das Überangebot an Reizen. Einen Kulturschock hab ich definitiv erlebt und ihn versucht mit einer Formel zu erfassen. Aber ein Kulturschock klingt auch wieder ab. Gedanken und Gefühle wirken je nach zeitlicher Perspektive anders.

Inwiefern?
Naja, als ich von Indien nach Dubai geflogen bin, da hatte ich den Geruch der Beedis des indischen Taxifahrers
noch in der Nase, seine paar Brocken Englisch noch in den Ohren und die Bilder der Skyline aber auch der Slums von Bombay vor Augen. Dann Cut, sprich Flug. Und um dich herum ist alles anders: Neu, modern, steril, perfekt. Darum geht es doch bei einem Kulturschock. Du bist mit deinem Empfinden und Gedanken noch in der einen Umgebung, während der Körper und die aktuelle Wahrnehmung schon in einer anderen Umgebung ist.

War der Schock größer als nach deinem China-Aufenthalt in 2007?
Ja. Definitiv. Ich glaube das liegt an den krasseren Gegensätzen: Indien-Dubai-Beckum ist extremer als OstküsteChina-Hamburg.

Was war denn so deine beste Erfahrung?
Da bist du nicht der erste, der das fragt. Schwer zu sagen, da gab es soviel. Insgesamt würde ich sagen, dass ich froh darüber war, innerhalb der sieben Wochen kein einziges Mal Gefahr verspürt zu haben. Ich konnte mich immer frei bewegen. Naja, vielleicht hatte ich etwas Schiss, als ich dem Tiger im Nationalpark ins Gesicht gesehen habe... (lacht)

Was kommt dir denn als erstes in den Kopf, wenn du jetzt (Anm.:1 Monat nach Rückkehr) zurückblickst?
Das sind einzelne Fetzen: Bilder, Gespräche, Empfindungen. Das Zimmer in Udaipur mit Blick auf den See. Wo ich erstmal ankommen wollte. Ankommen auf der Reise. Es waren meine ersten Tage nach dem Projekt in Chennai. Hinzu kam noch, dass ich durch Durchfall und eine durchzechte Nacht geschwächt war. Dieser Raum war ein Traum! Klingt kitischig, war aber so! Andere Fetzen: Der erste Tag – Mario und auch die Mädels haben mich super aufgenommen. Alles war so natürlich, ungezwungen. Der Ausflug an den Strand nach Mamallapuram. Acht Kinder auf dem Arm in den Slums, die vor Freude quitschen. Die Assoziationskette an Erinnerungsfetzen geht nun los, aber ich will nun keine Aneinanderreihung von Bildern machen. Dafür gab es ja den Dia-Vortrag...


Wie war das denn auf deiner Reise. Bist du alleine gereist, oder mit anderen? Und woher kanntest du die?
Eigentlich bin ich alleine gereist. Aber da hat man ja die Freiheit, sich anderen anzuschließen. So hab ich die Kameltour mit den beiden Chinesinnen und dem Japaner gemacht. Die drei hatte ich im Hotel kennengelernt. In Delhi und Agra war ich dann mit Lydia unterwegs. Wir hatten uns quasi dort verabredet. Auf der Zugfahrt nach Mumbai hab ich die Französin Julie kennengelernt und wir haben in Mumbai einen Tag zusammen Sightseeing und Shopping gemacht. Den letzten Tag in Mumbai war ich mit einer Gruppe aus Deutschen, einem Schweden und einem Dänen unterwegs, die im selben Hotel waren. Das war ganz anders, aber sehr lustig. Wir haben das unglaubliche Ganpatty-Festival erlebt, wo gläubige Inder in Gedenken an die Gottheit Ganesha (der mit dem Elefantenkopf) den ganzen Tag tanzen und singen und am Ende unzählige kleiner und großer Elefantenstatuen ins Meer bringen. Ich schätze, dass dort 500.000 Menschen auf den Straßen waren, getüncht in roter Farbe. Das schöne am alleine Reisen ist, dass man völlig flexibel ist und viel mehr Zufälle erlebt als zu Mehreren. Außerdem nimmt man sich selbst anders wahr. Und wenn man Lust auf Gesellschaft hat, dann quatscht man halt jemanden an. Das geht ganz gut und ist in Indien überhaupt kein Problem.

Was ist die lustiges auf den Reisen passiert?
Sehr lustig war der Besuch eines Tempels in Kanchipuram. Als Mario und ich wieder raus kamen, da saßen doch glatt zwei Affen auf unseren Motorrädern. Der eine trank ein Saftpäckchen, der andere schaute sich im Spiegel an. Das waren die ersten beiden Affen, die mir in Indien begegnet sind. In dem Ort begann auch ein anderer Zufall: Im Hotel vier Mädels aus Spanien kennengelernt und mit ihnen zu abend gegessen. 3 Wochen später und 500 km weiter sind Mario und ich auf dem Weg nach Ooty und treffen dort am Bahnsteig die vier Mädels.
Ein anderer Zufall: An der Busstation von Udaipur nach Jodhpur habe ich ein Päarchen kennengelernt. Die sind aber direkt weiter nach Jaisalmer gefahren. In Jodhpur hab ich ein Fort besichtigt und dabei ein Päarchen aus Hamburg kennengelernt. Dann bin ich nach Jaisalmer zur Kameltour und von dort aus nach Delhi. In Delhi am Bahnsteig treff ich dann das erste Päarchen wieder und dieses hatte mit dem zweiten Päarchen in Jaisalmer gemeinsam die Tour gemacht.Die Welt der Traveller ist so verdammt klein, selbst in Indien.
Grundsätzlich ist es hilfreich viele Dinge in Indien mit Humor und Verständnis zu nehmen. Beispielsweise chronische Unzuverlässigkeit der Projektmitarbeiter. Sonst macht man sich selbst nur wütend, verliert den Spaß und dann läuft auch das Projekt nicht. Ich habe viele lachende Inder gesehen und viel mit Indern gelacht.

Jetzt hast du ja deine Zeit dort mit dem Buch „ Schiffbruch mit Tiger“ verknüpft und immer wieder Zitate eingebaut. Wieso?
Aus drei Gründen:
Erstens ist das Buch mit Schuld, dass ich in Indien gelandet bin. Als ich es zum zweiten mal begonnen habe zu lesen, ergab sich die Option mit Indien. Die Verbildlichung der Sprache hat den Zoo für mich lebendig gemacht. Ich wollte dorthin, in dieses Pondicherry.
Zweitens haben die Beschreibungen der Menschen, der Gesellschaft, der Schwimmbäder, der Religionen haben den Reiz auf Fremdes geweckt, die Neugier verstärkt in eine andere Kultur einzutauchen.
Drittens bestehen zwischen dem Buch und meiner Zeit dort immer wieder Schnittstellen, Berührungspunkte und Parallelen. Wenn man nun die Aussagen der Romanfigur Pi Patel auf meine Zeit in Indien überträgt, so ergibt sich eine andere Perspektive auf Dinge.

Das klingt ja interessant, aber du konntest doch vorher nicht wissen, wie deine Zeit dort verläuft! Was hat dich aus der Ferne gereizt?
Ich habe das Buch zwei mal verschlungen, mich in einzelne Abschnitte verliebt. Nach Indien reisen bedeutete für mich etwas tiefer in das Buch eintauchen. Viele Gedanken und Gedankengänge von Pi lassen sich schon auf mich übertragen. Vielleicht ist mir aufgrund dieser Analogie das Buch so sympathisch. Ich muss aber auch sagen, dass es Zitate gibt, die im ersten Blick nicht zu dem Blogtext passen. Außerdem war das Buch sicherlich nicht der einzige Grund nach Indien zu gehen. Die Organisation und die Verbindung zu einer Freundin (Anja) in Indien haben sicherlich auch eine Rolle gespielt. Naja und letztendlich hat das Bauchgefühl gesagt "yo, lass gehen!" Ich hatte mit meinen Chefs Sheila und Kennedy zum Einstieg ein interessantes Gespräch über Entscheidungen: Sie kennen das Bauchgefühl nicht. Für mich gibt es den Unterschied zwischen Kopf-, Herz- und Bauchentscheidung.

Für mich war der erste Teil sehr informativ: Die verschiedenen Tierarten, Religionen (obwohl ich mir zum Hinduismus wohl nochmal was durchlesen muss- auf die ersten blicke viele Namen von Göttern und viele Begriffe) und das Denken von Pi über all dieses. Der zweite Teil hat mich beeindruckt, weil ich es nicht für möglich gehalten hätte, dass man eine "Fahrt" in einem Rettungsboot dermaßen "erleben" kann. Der Text war an keiner stelle langweilig und immer fesselnd. Wie war das Buch für dich?
Schön am ersten Teil finde ich, dass Yann Martel sowohl bei den Tieren als auch bei den Religionsbeschreibungen kleine Spitzen einstreut. Vermenschlichungen von Tieren, die Religionen trotz ihrer eigentlicher Gleichheit und Friedlichkeit gegeneinander Diskutieren lässt (wenn die drei Kirchenoberhäupte Pi auf der Kirmes treffen, mit seinen Eltern) und sie gegenseitig in den Kakao zieht. Ehrlich gesagt habe ich den Versuch aufgegeben den Hinduismus zu verstehen, er ist einfach zu vielseitig. Klar bekomme ich etwas mit, aber all die Götter, Interpretationen, Geschichten etc. sind schon eine Menge, zeigen aber auch die Vielseitigkeit des Hinduismus. Mein „Lieblingsgott“ im Hinduismus ist Ganesha. Er verkörpert Glück, Erfolg und Weisheit. Zudem habe ich an seinem „Geburtstag“ einen tollen Tag in Udaipur verbracht und wie oben erwähnt den Abschluss des Ganesha Festivals in Bombay miterlebt.
Was hältst du von dem Hauptdarsteller Pi Patel?
Pi ist kein typischer Romanheld. Er wirkt manchmal hilflos und probiert sich in seiner Umgebung aus. Die skurrile Situation auf dem Boot führt immer wieder zu überraschenden, humorvollen Situationen. Pi wirkt hierbei sehr menschlich, da er sich, sein Handeln und seine Entscheidungen reflektiert. Manchmal wirkt er schwach und unsicher, dann wieder stark und mutig. Kleinigkeiten können hierfür den Ausschlag geben. Wie im wahren Leben also. Und Yann Martel beschreibt diese infinitesimalen Veränderungen sehr präzise und nachvollziehbar.

Und wie war nun dieser Ort Pondicherry für dich? Du hast davon im Blog fast gar nichts geschrieben, obwohl es (vereinzelte) Leser ja sogar gefordert haben!
Pondicherry war ein Traum, eine Oase. Nach 4 Wochen im turbulenten, lauten, vollen und unruhigen Chennai brauchte ich eine geistige Auszeit. Bin alleine mit dem Motorrad die 130 Km runtergedüst. Hab an den Stränden von Kovalem und Mamallapuram gehalten. In Pondy habe ich drei Tage relaxt. Französische Cuisine genossen. Die Zeit dort verstreichen lassen: Die Geschwindigkeit des Lebens angepasst auf das Innere Befinden und nicht auf äußere Einflüsse. Bin morgens zum Sonnenaufgang aufgestanden, hab in einem Ashram meditiert. Hier und da einen guten Kaffee, ein paar Seiten in einem Buch, ein Stück Quiche Loraine oder auch nicht. Hilfreich zur Entrümpelung des Geistes war auch eine ayurvedische Massage: Nackt auf einem massiven Holztisch im aufgewärmten Öl liegend wie eine Sardelle. Die vier Hände von zwei durchtrainierten Indern flitzten synchron über meinen Körper. Es war schmerzhaft, aber befreiend.
Übrigens, den viel beschriebenen Zoo gibt es nicht. Er ist reine Fiktion. Dies hatte ich auch vor Indien schon recherchiert. Doch es hat mein Interesse an Pondicherry nicht verringert, sondern erhöht. Denn was ist das für ein Ort, dem ein wunderbarer Zoo zugeschrieben wird?

Und würde ein Zoo nach Pondicherry passen?
Ja, er müsste allerdings den Tieren und der Schönheit des Ortes würdig sein. Es wäre allerdings schwierig ihn so romantisch, liebevoll und malerisch zu gestalten, wie er in meiner Vorstellung auf Basis des Buches ist.

Du wolltest mit deinem Blog die drei Welten Indien-Gecko-PiPatel verbinden. Wie ist dein Rückblick auf den Blog?
Die ganze Geschichte hat mir Spaß gemacht und viele Leser hatten auch Spaß dabei. Zahlen sind zwar nicht ausschlaggebend, aber manchmal interessant. Wöchentlich gab es zwischen 77 und 247 Zugriffe. Natürlich größtenteils aus Deutschland. Ich frage mich immer noch, von wem die 10 Zugriffe aus Brasilien kamen!

Und haben alle den Blog wirklich gelesen?
Na klar! (lacht) Typische Reaktion nach meiner Rückkehr war: Ich hab mal auf deinen Blog geschaut und naja, ehrlich gesagt, hab ich mir meist nur die Fotos angeschaut. Aber das ist doch normal. Mein Analysator hat ergeben, dass die durchschnittliche Verweildauer bei 4 Minuten liegt. So schnell kann keiner lesen!

Du bist jetzt erstmal wieder in Deutschland. Was machst du jetzt mit dem Blog?
Wie gesagt, ich hatte Spaß daran, meinen persönlichen Senf zu verbreiten. Und dass er manchem geschmeckt hat, ist natürlich auch angenehm. Und wem er nicht schmeckt, der liest einfach weiter Spiegel Online oder Facebook. Den Blog werde ich wohl weiterlaufen lassen. Immer noch als „Schiffbruch mit Gecko“. Allerdings geht es weniger um Indien, sondern mehr um andere Themen, die mich beschäftigen und von denen ich denke, dass sie andere Menschen auch interessieren. Ein paar Ideen hab ich schon.

Und was ist mit den Fotos? Die dürfen doch jetzt nicht in der Schublade verschwinden!
Das will ich auch nicht. Zunächst einmal bin ich dabei, mir ein vernünftiges Fotoalbum zu machen. Dieses habe ich mir in Udaipur bereits zugelegt. Es besitzt einen Ledereinband, auf dem Ganesha abgebildet ist. Ein Teil der Bilder ist ja auch über den Blog weiterhin sichtbar. Was sonst noch möglich ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Mal schauen.

Vielen Dank für das Intierview!
Vielen Dank an alle Mitreisenden, die durchgehalten haben und mit mir Schiffbruch erlitten haben. Sowohl hier in Deutschland, als auch in Indien und Dubai. Es war ein schöner Schiffbruch. Dank auch an die Gesprächspartner seit meiner Rückkehr. Ihr habt die Fragen gestellt und mir geholfen mich vom Kulturschock zu befreien. Insbesondere an meine Eltern und Geschwister, Ellen, meine WG. Dank auch an Dennis: Deine Mail war der Anstoss zu diesem „Interview“.

1. Oktober 2009

INFO - DIA-ABEND

Liebe Reisefreunde,

ich möchte euch einladen zu einem Vortrag über meine Zeit in Indien:

Schiffbruch mit Gecko
Ein Masala aus Fotos aus Indien
(+Kontrast Dubai)

Cafe uNmut
Do 8.Oktober 20.30
Veddeler Brückenstr.162
(Gegenüber von meiner Wohnung)
www.indiagecko.blogspot.com

Bei Chai Tee, Beedies und günstigen Getränken erwartet euch ein Masala aus Fotos und Erfahrungen:
Kontraste & scheinbare Widersprüche
permanenter Straßenlärm & innere Ruhe durch Yoga und Meditation
Hitzige Sonne & Prasselnder Regen
Kopfschütteln & Ja-meinen
Kapitalismus & Religion
Moderne Komplexe internationaler IT-Konzerne in Sichtweite von überbevöllkerten, vermüllten Slums,
Armut & Reichtum.

Indien-, Foto- und Reise-interessierte Freunde könnt ihr gerne mitbringen.

Ich freu mich mit euch anzukommen,
Gecko (Matthias)