23. Oktober 2009

# 13 Epilog / Hamburg


Du bist wieder hier in Deutschland. Hast dich ja gar nicht verändert! Wie war Indien? Hast du einen Kulturschock?
Indien war toll. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. All die vielen visuellen und emotionalen Eindrücke, aufregenden und einzigartigen Erlebnisse, das Überangebot an Reizen. Einen Kulturschock hab ich definitiv erlebt und ihn versucht mit einer Formel zu erfassen. Aber ein Kulturschock klingt auch wieder ab. Gedanken und Gefühle wirken je nach zeitlicher Perspektive anders.

Inwiefern?
Naja, als ich von Indien nach Dubai geflogen bin, da hatte ich den Geruch der Beedis des indischen Taxifahrers
noch in der Nase, seine paar Brocken Englisch noch in den Ohren und die Bilder der Skyline aber auch der Slums von Bombay vor Augen. Dann Cut, sprich Flug. Und um dich herum ist alles anders: Neu, modern, steril, perfekt. Darum geht es doch bei einem Kulturschock. Du bist mit deinem Empfinden und Gedanken noch in der einen Umgebung, während der Körper und die aktuelle Wahrnehmung schon in einer anderen Umgebung ist.

War der Schock größer als nach deinem China-Aufenthalt in 2007?
Ja. Definitiv. Ich glaube das liegt an den krasseren Gegensätzen: Indien-Dubai-Beckum ist extremer als OstküsteChina-Hamburg.

Was war denn so deine beste Erfahrung?
Da bist du nicht der erste, der das fragt. Schwer zu sagen, da gab es soviel. Insgesamt würde ich sagen, dass ich froh darüber war, innerhalb der sieben Wochen kein einziges Mal Gefahr verspürt zu haben. Ich konnte mich immer frei bewegen. Naja, vielleicht hatte ich etwas Schiss, als ich dem Tiger im Nationalpark ins Gesicht gesehen habe... (lacht)

Was kommt dir denn als erstes in den Kopf, wenn du jetzt (Anm.:1 Monat nach Rückkehr) zurückblickst?
Das sind einzelne Fetzen: Bilder, Gespräche, Empfindungen. Das Zimmer in Udaipur mit Blick auf den See. Wo ich erstmal ankommen wollte. Ankommen auf der Reise. Es waren meine ersten Tage nach dem Projekt in Chennai. Hinzu kam noch, dass ich durch Durchfall und eine durchzechte Nacht geschwächt war. Dieser Raum war ein Traum! Klingt kitischig, war aber so! Andere Fetzen: Der erste Tag – Mario und auch die Mädels haben mich super aufgenommen. Alles war so natürlich, ungezwungen. Der Ausflug an den Strand nach Mamallapuram. Acht Kinder auf dem Arm in den Slums, die vor Freude quitschen. Die Assoziationskette an Erinnerungsfetzen geht nun los, aber ich will nun keine Aneinanderreihung von Bildern machen. Dafür gab es ja den Dia-Vortrag...


Wie war das denn auf deiner Reise. Bist du alleine gereist, oder mit anderen? Und woher kanntest du die?
Eigentlich bin ich alleine gereist. Aber da hat man ja die Freiheit, sich anderen anzuschließen. So hab ich die Kameltour mit den beiden Chinesinnen und dem Japaner gemacht. Die drei hatte ich im Hotel kennengelernt. In Delhi und Agra war ich dann mit Lydia unterwegs. Wir hatten uns quasi dort verabredet. Auf der Zugfahrt nach Mumbai hab ich die Französin Julie kennengelernt und wir haben in Mumbai einen Tag zusammen Sightseeing und Shopping gemacht. Den letzten Tag in Mumbai war ich mit einer Gruppe aus Deutschen, einem Schweden und einem Dänen unterwegs, die im selben Hotel waren. Das war ganz anders, aber sehr lustig. Wir haben das unglaubliche Ganpatty-Festival erlebt, wo gläubige Inder in Gedenken an die Gottheit Ganesha (der mit dem Elefantenkopf) den ganzen Tag tanzen und singen und am Ende unzählige kleiner und großer Elefantenstatuen ins Meer bringen. Ich schätze, dass dort 500.000 Menschen auf den Straßen waren, getüncht in roter Farbe. Das schöne am alleine Reisen ist, dass man völlig flexibel ist und viel mehr Zufälle erlebt als zu Mehreren. Außerdem nimmt man sich selbst anders wahr. Und wenn man Lust auf Gesellschaft hat, dann quatscht man halt jemanden an. Das geht ganz gut und ist in Indien überhaupt kein Problem.

Was ist die lustiges auf den Reisen passiert?
Sehr lustig war der Besuch eines Tempels in Kanchipuram. Als Mario und ich wieder raus kamen, da saßen doch glatt zwei Affen auf unseren Motorrädern. Der eine trank ein Saftpäckchen, der andere schaute sich im Spiegel an. Das waren die ersten beiden Affen, die mir in Indien begegnet sind. In dem Ort begann auch ein anderer Zufall: Im Hotel vier Mädels aus Spanien kennengelernt und mit ihnen zu abend gegessen. 3 Wochen später und 500 km weiter sind Mario und ich auf dem Weg nach Ooty und treffen dort am Bahnsteig die vier Mädels.
Ein anderer Zufall: An der Busstation von Udaipur nach Jodhpur habe ich ein Päarchen kennengelernt. Die sind aber direkt weiter nach Jaisalmer gefahren. In Jodhpur hab ich ein Fort besichtigt und dabei ein Päarchen aus Hamburg kennengelernt. Dann bin ich nach Jaisalmer zur Kameltour und von dort aus nach Delhi. In Delhi am Bahnsteig treff ich dann das erste Päarchen wieder und dieses hatte mit dem zweiten Päarchen in Jaisalmer gemeinsam die Tour gemacht.Die Welt der Traveller ist so verdammt klein, selbst in Indien.
Grundsätzlich ist es hilfreich viele Dinge in Indien mit Humor und Verständnis zu nehmen. Beispielsweise chronische Unzuverlässigkeit der Projektmitarbeiter. Sonst macht man sich selbst nur wütend, verliert den Spaß und dann läuft auch das Projekt nicht. Ich habe viele lachende Inder gesehen und viel mit Indern gelacht.

Jetzt hast du ja deine Zeit dort mit dem Buch „ Schiffbruch mit Tiger“ verknüpft und immer wieder Zitate eingebaut. Wieso?
Aus drei Gründen:
Erstens ist das Buch mit Schuld, dass ich in Indien gelandet bin. Als ich es zum zweiten mal begonnen habe zu lesen, ergab sich die Option mit Indien. Die Verbildlichung der Sprache hat den Zoo für mich lebendig gemacht. Ich wollte dorthin, in dieses Pondicherry.
Zweitens haben die Beschreibungen der Menschen, der Gesellschaft, der Schwimmbäder, der Religionen haben den Reiz auf Fremdes geweckt, die Neugier verstärkt in eine andere Kultur einzutauchen.
Drittens bestehen zwischen dem Buch und meiner Zeit dort immer wieder Schnittstellen, Berührungspunkte und Parallelen. Wenn man nun die Aussagen der Romanfigur Pi Patel auf meine Zeit in Indien überträgt, so ergibt sich eine andere Perspektive auf Dinge.

Das klingt ja interessant, aber du konntest doch vorher nicht wissen, wie deine Zeit dort verläuft! Was hat dich aus der Ferne gereizt?
Ich habe das Buch zwei mal verschlungen, mich in einzelne Abschnitte verliebt. Nach Indien reisen bedeutete für mich etwas tiefer in das Buch eintauchen. Viele Gedanken und Gedankengänge von Pi lassen sich schon auf mich übertragen. Vielleicht ist mir aufgrund dieser Analogie das Buch so sympathisch. Ich muss aber auch sagen, dass es Zitate gibt, die im ersten Blick nicht zu dem Blogtext passen. Außerdem war das Buch sicherlich nicht der einzige Grund nach Indien zu gehen. Die Organisation und die Verbindung zu einer Freundin (Anja) in Indien haben sicherlich auch eine Rolle gespielt. Naja und letztendlich hat das Bauchgefühl gesagt "yo, lass gehen!" Ich hatte mit meinen Chefs Sheila und Kennedy zum Einstieg ein interessantes Gespräch über Entscheidungen: Sie kennen das Bauchgefühl nicht. Für mich gibt es den Unterschied zwischen Kopf-, Herz- und Bauchentscheidung.

Für mich war der erste Teil sehr informativ: Die verschiedenen Tierarten, Religionen (obwohl ich mir zum Hinduismus wohl nochmal was durchlesen muss- auf die ersten blicke viele Namen von Göttern und viele Begriffe) und das Denken von Pi über all dieses. Der zweite Teil hat mich beeindruckt, weil ich es nicht für möglich gehalten hätte, dass man eine "Fahrt" in einem Rettungsboot dermaßen "erleben" kann. Der Text war an keiner stelle langweilig und immer fesselnd. Wie war das Buch für dich?
Schön am ersten Teil finde ich, dass Yann Martel sowohl bei den Tieren als auch bei den Religionsbeschreibungen kleine Spitzen einstreut. Vermenschlichungen von Tieren, die Religionen trotz ihrer eigentlicher Gleichheit und Friedlichkeit gegeneinander Diskutieren lässt (wenn die drei Kirchenoberhäupte Pi auf der Kirmes treffen, mit seinen Eltern) und sie gegenseitig in den Kakao zieht. Ehrlich gesagt habe ich den Versuch aufgegeben den Hinduismus zu verstehen, er ist einfach zu vielseitig. Klar bekomme ich etwas mit, aber all die Götter, Interpretationen, Geschichten etc. sind schon eine Menge, zeigen aber auch die Vielseitigkeit des Hinduismus. Mein „Lieblingsgott“ im Hinduismus ist Ganesha. Er verkörpert Glück, Erfolg und Weisheit. Zudem habe ich an seinem „Geburtstag“ einen tollen Tag in Udaipur verbracht und wie oben erwähnt den Abschluss des Ganesha Festivals in Bombay miterlebt.
Was hältst du von dem Hauptdarsteller Pi Patel?
Pi ist kein typischer Romanheld. Er wirkt manchmal hilflos und probiert sich in seiner Umgebung aus. Die skurrile Situation auf dem Boot führt immer wieder zu überraschenden, humorvollen Situationen. Pi wirkt hierbei sehr menschlich, da er sich, sein Handeln und seine Entscheidungen reflektiert. Manchmal wirkt er schwach und unsicher, dann wieder stark und mutig. Kleinigkeiten können hierfür den Ausschlag geben. Wie im wahren Leben also. Und Yann Martel beschreibt diese infinitesimalen Veränderungen sehr präzise und nachvollziehbar.

Und wie war nun dieser Ort Pondicherry für dich? Du hast davon im Blog fast gar nichts geschrieben, obwohl es (vereinzelte) Leser ja sogar gefordert haben!
Pondicherry war ein Traum, eine Oase. Nach 4 Wochen im turbulenten, lauten, vollen und unruhigen Chennai brauchte ich eine geistige Auszeit. Bin alleine mit dem Motorrad die 130 Km runtergedüst. Hab an den Stränden von Kovalem und Mamallapuram gehalten. In Pondy habe ich drei Tage relaxt. Französische Cuisine genossen. Die Zeit dort verstreichen lassen: Die Geschwindigkeit des Lebens angepasst auf das Innere Befinden und nicht auf äußere Einflüsse. Bin morgens zum Sonnenaufgang aufgestanden, hab in einem Ashram meditiert. Hier und da einen guten Kaffee, ein paar Seiten in einem Buch, ein Stück Quiche Loraine oder auch nicht. Hilfreich zur Entrümpelung des Geistes war auch eine ayurvedische Massage: Nackt auf einem massiven Holztisch im aufgewärmten Öl liegend wie eine Sardelle. Die vier Hände von zwei durchtrainierten Indern flitzten synchron über meinen Körper. Es war schmerzhaft, aber befreiend.
Übrigens, den viel beschriebenen Zoo gibt es nicht. Er ist reine Fiktion. Dies hatte ich auch vor Indien schon recherchiert. Doch es hat mein Interesse an Pondicherry nicht verringert, sondern erhöht. Denn was ist das für ein Ort, dem ein wunderbarer Zoo zugeschrieben wird?

Und würde ein Zoo nach Pondicherry passen?
Ja, er müsste allerdings den Tieren und der Schönheit des Ortes würdig sein. Es wäre allerdings schwierig ihn so romantisch, liebevoll und malerisch zu gestalten, wie er in meiner Vorstellung auf Basis des Buches ist.

Du wolltest mit deinem Blog die drei Welten Indien-Gecko-PiPatel verbinden. Wie ist dein Rückblick auf den Blog?
Die ganze Geschichte hat mir Spaß gemacht und viele Leser hatten auch Spaß dabei. Zahlen sind zwar nicht ausschlaggebend, aber manchmal interessant. Wöchentlich gab es zwischen 77 und 247 Zugriffe. Natürlich größtenteils aus Deutschland. Ich frage mich immer noch, von wem die 10 Zugriffe aus Brasilien kamen!

Und haben alle den Blog wirklich gelesen?
Na klar! (lacht) Typische Reaktion nach meiner Rückkehr war: Ich hab mal auf deinen Blog geschaut und naja, ehrlich gesagt, hab ich mir meist nur die Fotos angeschaut. Aber das ist doch normal. Mein Analysator hat ergeben, dass die durchschnittliche Verweildauer bei 4 Minuten liegt. So schnell kann keiner lesen!

Du bist jetzt erstmal wieder in Deutschland. Was machst du jetzt mit dem Blog?
Wie gesagt, ich hatte Spaß daran, meinen persönlichen Senf zu verbreiten. Und dass er manchem geschmeckt hat, ist natürlich auch angenehm. Und wem er nicht schmeckt, der liest einfach weiter Spiegel Online oder Facebook. Den Blog werde ich wohl weiterlaufen lassen. Immer noch als „Schiffbruch mit Gecko“. Allerdings geht es weniger um Indien, sondern mehr um andere Themen, die mich beschäftigen und von denen ich denke, dass sie andere Menschen auch interessieren. Ein paar Ideen hab ich schon.

Und was ist mit den Fotos? Die dürfen doch jetzt nicht in der Schublade verschwinden!
Das will ich auch nicht. Zunächst einmal bin ich dabei, mir ein vernünftiges Fotoalbum zu machen. Dieses habe ich mir in Udaipur bereits zugelegt. Es besitzt einen Ledereinband, auf dem Ganesha abgebildet ist. Ein Teil der Bilder ist ja auch über den Blog weiterhin sichtbar. Was sonst noch möglich ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Mal schauen.

Vielen Dank für das Intierview!
Vielen Dank an alle Mitreisenden, die durchgehalten haben und mit mir Schiffbruch erlitten haben. Sowohl hier in Deutschland, als auch in Indien und Dubai. Es war ein schöner Schiffbruch. Dank auch an die Gesprächspartner seit meiner Rückkehr. Ihr habt die Fragen gestellt und mir geholfen mich vom Kulturschock zu befreien. Insbesondere an meine Eltern und Geschwister, Ellen, meine WG. Dank auch an Dennis: Deine Mail war der Anstoss zu diesem „Interview“.

1. Oktober 2009

INFO - DIA-ABEND

Liebe Reisefreunde,

ich möchte euch einladen zu einem Vortrag über meine Zeit in Indien:

Schiffbruch mit Gecko
Ein Masala aus Fotos aus Indien
(+Kontrast Dubai)

Cafe uNmut
Do 8.Oktober 20.30
Veddeler Brückenstr.162
(Gegenüber von meiner Wohnung)
www.indiagecko.blogspot.com

Bei Chai Tee, Beedies und günstigen Getränken erwartet euch ein Masala aus Fotos und Erfahrungen:
Kontraste & scheinbare Widersprüche
permanenter Straßenlärm & innere Ruhe durch Yoga und Meditation
Hitzige Sonne & Prasselnder Regen
Kopfschütteln & Ja-meinen
Kapitalismus & Religion
Moderne Komplexe internationaler IT-Konzerne in Sichtweite von überbevöllkerten, vermüllten Slums,
Armut & Reichtum.

Indien-, Foto- und Reise-interessierte Freunde könnt ihr gerne mitbringen.

Ich freu mich mit euch anzukommen,
Gecko (Matthias)

13. September 2009

# 12 Dubai / Schockstarre

"Man kann auch sagen, ein Schiffbrüchiger ist gefangen zwischen den krassesten, zermürbensten Gegensätzen. " (weiter ab Seite 363)


Kultur Indien: Indien ist die größte Demokratie der Erde und ein Land mit vielen Kontrasten und scheinbaren Widersprüchen: Permanenter Straßenlärm trifft auf innere Ruhe durch Meditation und Yoga. Moderne Komplexe internationaler IT-Konzerne liegen in Sichtweite von überbevöllkerten, vermüllten Slums. Schlafende Menschen am Wegesrand unter einer lumpigen Decke vs. Partys in einem schicken Loft, mit moderner Kunst, weißen Ledercouches, einem Kühlschrank, der keine (kulinarischen) Wünsche offen lässt und zwei Hausdienern, die einem auch um fünf Uhr morgens noch etwas zu essen zubereiten. Kopfschütteln und "ja" meinen. Angenehme Hilfsbereitschaft und ärgerliche Fehlinformationen. Das Wetter in Chennai ist im Sommer geprägt durch schwüle Hitze und spontane Regenfälle, die nicht die erhoffte Abkühlung bringen. Auch wenn der "Durchschnittsinder" weniger Englisch spricht als erwartet, so kommt man im Alltag und auf Reisen problemlos zurecht, da die Inder hilfsbereit und neugierig gegenüber Westlern sind. Hier gibt es eine Unzahl an Mücken, monsunartige Regenfälle und viel zu viele Speedbreaker (Hüppel um Autos herunterzubremsen. Die allerdings so hoch und unförmig und überraschend positioniert sind, dass sie eher gefährlich als nützlich sind.)

Kultur Dubai: Dubai ist wie eine Metropole im Computerspiel Sim City. Man kennt den Trailer des Spiels - Diverse Dokumentationen auf Pro Sieben, Sat 1 und Kabel 1. Moderne Glas-Stahl Komplexe in ausgefallenen Formen werden von Runde zu Runde aufgebaut. Von oben sieht man unten den sechsspurigen Highway mit perfektem Grün an der Seite und kleinen Autos, die wie an einer Schnur gezogen hin und her pesen. Hier und da noch etwas zur Erquickung des Emirs und der Bevölkerung: Ein moderner Park, eine Pferderennbahn, eine und noch eine Palmeninsel (die sehen wirklich so aus - zumindest aus dem Flugzeug), eine Metro, die auf Stelzen neben dem Highway entlang führt, eine überdimensionierte Einkaufsmeile (Dubai Mall ist das größte Geschäft der Welt mit der größten Glasscheibe der Welt (das Aquarium) neben dem größten Gebäude der Welt...). Bei nur 15% Einheimischen wird die Kultur auch wesentlich durch die Ausländer geprägt. Westliche Sportbars, exquisite Restaurants, frischgezapftes Strongbow, australisches Rumpfsteak sowie Touristen, die mit ihrer Canon Ixus verzweifelt versuchen den Burj Dubai - das mit 818 Metern höchste nutzbare Gebäude der Welt (Eröffnung im Dezember) . Hunderttausende aus Indien, den Philippinen, Pakistan, dem Jemen, Libanon oder anderen Ländern aus dem nahen und mittleren Osten wurden angeworben um bei über 40° die Hochhäuser der Zukunft zu bauen, die Wohnungen zu reinigen oder Taxi zu fahren. Vorm Jumeirah begegnen mir drei Porsche Cayenne nacheinander, besetzt mit einem Scheich im eleganten weißen Gewand (Kaftan), schlichter weißer Kopfbedeckung (Agal) und schwarzem Kopfreif (Guthra) . Es folgen ein Bentley, ein Jaguar, ein Lamborghini und eine fast ärmlich wirkenden S-Klasse. 4,6% der Einwohner sind Millionäre, gefühlt sind es aber mehr. Hier werden die Swimmingpools auf dem Dach heruntergekühlt, Bushaltestellen auf 18° temperiert und die Zimmer vom Reinigungspersonal alle zwei Tage sterilisiert (kann man das so sagen? Ihr wisst schon was gemeint ist. Im Vergleich zu Indien, bewege ich mich in einer permanenten Quarantäne-Zone. Hier liegt kein Müll, kein Zigarettenstummel auf dem Boden, alles glänzt wie neu, weil es neu ist, Bettler sehe ich keine.)
Wenn man sich im Spiel "Sim City Dubai" befindet, flutscht vieles locker. Ein Taxi hierhin, ein Taxi dorthin nehmen, ohne Gedanken an den Geldbeutel von der Karte bestellen und schmerzfrei mit der Kreditkarte bezahlen. Mit dem Taxi zurück, oder noch weiter. Geboten bekommt man dafür haben auch feinste Kost, an wunderschönen Orten. Glück für mich, dass ich den Jan kenne, der gerade in Dubai ein Praktikum praktiziert. Glück, dass sein einer Mitbewohner nicht da war und so hatte ich ein Zimmer mit eigenem Bad und Wanne (samt Bademantel) und ein äußerst luxuriöses Bett im 27. Stock des Hotel-Appartment-Komplexes des "The Place". So konnte ich die drei Tage Dubai genießen und hatte mit Jan und seinem anderen Mitbewohner Seb noch zwei Mitspieler, die mir die besten Plätze in "Sim City Dubai" zeigen konnten: Drei Highlights aus meiner Sicht:
  1. Wasserpfeife mit Traube-Minz-Aroma und dazu süße marokkanische Leckereien mit Früchten, Nüssen und Joghurt auf einer weichen Couch am Creek verzehren und der Entspannung eine Chance geben.
  2. Morgens um halb sechs von Sarahs-Party zum Meer stolpern, um dort im 35° warmen, fast öligen Wasser den Sonnenaufgang zu genießen.
  3. Ein Bier in "The Adress". Gegenüber vom Burj Dubai (800 Meter) befindet sich dieses Luxushotel. Im obersten Geschoss (63. Stock) befindet sich die Hotelbar, die (etwas zu viel) ausgestattet ist mit moderner Kunst und allerlei Schnickschnack. Die Bar ist eigentlich unwichtig. Doch der Ausblick ist ne Wucht. Man wechselt in "Sim City Dubai" in die VogelPerspektive. Die Häuser, Springbrunnen, Pools und selbst die Dubai Mall erscheinen winzig klein. Die Skyline in Sichtweite, im Hintergrund der Persische Golf- das Meer. ABER! Was ist das für ein Speer, der da ca. 150 Meter vor einem steht? Das ist der Burj. Verdammt ist das Ding riesig. Ja, das ist ein Ding. Das ist kein normales Gebäude mehr. Wir sind im 63. Stock und befinden auf einem drittel der Höhe des Burj. Wir können mit unserem Auge nicht gleichzeitig die Spitze und den Boden des Burj sehen. Holy Moly Shit. Hier hat sich "Big Mo" an die Grenze des Möglichen herangewagt. Ich schwanke immer wieder zwischen Faszination und Ablehnung.
"Big Mo"? Er heißt eigentlich Muhammad ibn Raschid al Maktum und ist der Emir von Dubai. Er ist zwar erst drei Jahre an der Macht, doch auf dem Besten Wege es seinen Vorgängern gleich zu tun: Die Stadt der Zukunft zu bauen. „Man muss sich entscheiden: Entweder ahmt man nach, oder man ergreift die Initiative. Wir wollen Pioniere sein.“
Wenn ich mich als ein "Spieler in Sim City Dubai" sehe, dann ist er die übergeordnete Instanz - der Master. Er lenkt die Entwicklung der Stadt wie ein Puppenspieler die Fäden. Er setzt die Regeln: Er kann spontan die Zahl der Urlaubs- und Feiertage bestimmen, denkt sich neue Gebäude und Hirngespinnste aus (es gibt ne Skihalle in Dubai) und auch die Härte der Ausübung des Ramadan wird durch ihn und seine Polizei bestimmt. Man fühlt sich etwas unfrei, wenn man erfährt, dass Essen, Trinken und Rauchen tagsüber in der Öffentlichkeit auch für Westler verboten ist. Andererseits gilt er als sehr sozial und ist beliebt bei allen Schichten der Bevölkerung und man kann sich mit Blick auf Diktatoren in umliegenden Staaten denken, dass der Master des Levels "Sim City Dubai" auch schlechter sein könnte.

Um den vorherigen Abschnitt auf eine Formel zu bringen:
(Kultur Indien-Kultur Dubai)/(Geprägt in Deutschland)= (KulturSchock x 3) + Faszination + Begeisterung + Ablehnung

2. September 2009

# 11 Campen / Jaisalmer, Thar Wueste

Nicht lang, und ein Wohlbehagen stellte sich ein. Mein Mund wurde wieder feucht und weich. Meinen Hals spuerte ich gar nicht mehr. Meine Haut entspannte sich. Meine Gelenke bewegten sich wieder muehelos. Mein Herz schlug in einem froehlicheren Rhythmus, und das Blut zirkulierte in meinen Adern wie die Wagen einer Hochzeitsgesellschaft, die hupend durch die Stadt ziehen. Die Muskeln fuehlten sich wieder kraeftiger und geschmeidiger an. Der Kopf wurde klarer. Ich war ein Toter, der weider zum Leben erwachte. Es war ein wunderbaes, wunderbares Gefuehl. Wer sich an Alkohol berauscht, der soll sich schaemen, aber der Wasserrausch ist die schoenste aller Extasen. Minutenlang sass ich einfach nur da und genoss dieses Glueck.
Ich war vor ein paar Tagen, die gefuehlt eine Ewigkeit entfernt sind, campen in der Thar-Wueste.

Campen bedeutet "unterwegs draussen essen und schlafen". Meine letzte Camping Tour war mit Ellen quer durch Holland und innerlich zog ich den ein oder anderen Vergleich.
  • Diesmal: Campen in der Wueste. Die Thar Wueste liegt an der Grenze zwischen Indien und Pakistan, besteht im wesentlichen aus Steinen, Gestruepp und vereinzelten Sand-Duenen.
  • Fortbewegungsmittel: Kamele im Schritt- und leichten Trabtempo.
  • Reisegruppe: Mein Kamel Lalu hat mich all den Weg getragen. An meiner Seite bzw. mit einer Kamelhalslaenge abstand zwei Chinesinnen (Jaoli und Mangjie) und ein Japaner (Ken), die ich in Jodhpur - einen Tag zuvor - kennengelernt habe. Die Chinesinnen waeren leicht aengstlich und fanden mich ja soooo mutig (unter anderem weil ich das Kamel selbst fuehren wollte und nicht von einem Guide). Der Japaner Ken war sehr zurueckhaltend und kommentierte vieles mit einer monotonen Hehehe-Lache, die ich nur von Japanern kenne. Dazu unsere beiden indischen Kamelfuehrer Thalib und Ali. Sie leben seit ihrer Geburt seit 14 bzw. 20 Jahren in der Wueste.
  • Essen: Satt wird man beim Campen stets von "einer Flamme". In Holland koch man sich als Fahrradtourist mit 80 KM in den Beinen auf einem Bunsenbrenner Nudeln mit Tomatensosse - mit oder ohne Kaese. In Indien ist man als Travelltourist nach 3 Stunden Kamelschritt im Hintern Chapati (Weizenfladen)und Kartoffel-Zwiebel Masala von einer Flamme aus ausgedorrtem Holz. Wesentlicher Unterschied: Man wird bekocht. Ja, das ist wahr und meine Camping-Ehre geriet kurz ins Wanken. Schliesslich geht man doch Campen, um zu spueren, dass man draussen ueberleben kann. Man moechte den ureigenen Jagd- und Sammelinstinkt wieder spueren. Das zurueckgreifen auf Hilfsmittel - wie Supermaerkte - kann man mit einem zugedrueckten Auge durchgehen lassen. Grundsaetzlich gilt: Draussen schmeckt es sowieso am Besten.
  • Getraenke: ca. 38 Grad warmes Wasser.
  • Sonstiges: Ab und an ein Beedi rauchen (ein mit etwas Tabak gefuelltes Tendublatt). Ein Beedi ist eigentlich eine "Arme Leute Zigarette". Wenn ich ein Beedi in einer Pause beim Spielplatzbau in den Slums geraucht habe, so belaechelten mich die Kinder und Jugendlichen. Warum? Ein Westler, der ja reich ist, raucht das Kraut, das arme und alte Menschen sowie Rajastani-Musiker rauchen. Hier zeigt sich, dass Humor nichts anderes ist als das Auseinanderdriften von Vorstellung (reicher Westler) und Realitaet (raucht Blaetter).
  • Besonderheit: In Holland gehoert eine gewisse Grundfeuchtigkeit der Kleidung zum Campen. In der Thar-Wueste ist dies ein Mindest-Sand-Anteil in den Chapattis.
  • Ablauf: Beim Campen verhaelt man sich eigentlich sinnfrei. Man bewegt sich in verzoegerter Geschwindigkeit (ein Zug oder Jeep waere viel schneller) von A nach B um unter eingeschreanktem Komfort zu "ueberleben". Eigentlich setzt man sich selbst Hindernisse. Zwischendurch quatscht man ueber dies und das, aber meistens doch ueber den Weg, den man gerade begeht. "Diesmal sprach die moderne G4-Gruppe (Inder, Chinese, Japaner, Deutsche) ueber Wueste, Kamele, Essen und Himmel. Mein Reisetagebuch habe ich erweitert um ein Dictionary der Weltsprachen: Gebrochenes Englisch, Hindi, Chinesisch, Japanisch sowie - nun ja - Deutsch!
  • Natur und Landschaft: So langsam kommen wir zu dem, was das Campen wirklich ausmacht. Die angestrebte Einheit mit der Natur. Man passt seinen Rhythmus an den Sonnenstand an, bewegt sich durch die Natur und lebt mit der Natur. Mutter Erde zeigt sich dankbar fuer all den Respekt ihr gegenueber und schenkt uns einen wundervollen Sternenhimmel in der Mitte der Wueste. Der Mond wacht gebieterisch ueber uns. Der Koerper ist zunaechst noch unsicher in der "neuen" Umgebung. Er benoetigt Weile um sein Stadtmensch-Verhalten abzulegen. Deshalb hoert man zunaechst nichts, wenn man draussen ist. Keinen Laerm, keine Motoren, keine rufenden Menschen. Doch dann passiert etwas und aus der "vermeintlichen Stille" wird ein Konzert aus Geraeuschen, die einem zuvor verborgen blieben: Der Sand, der ueber die Duenen fliesst und dabei die vereinzelt auftretenden Straeucher streichelt. Das Knarzen eines alten Baumes am Boden der Sand-Duene. Irgendwo weit entfernt eine Kuhglocke. Und dann der eigene Atem. Minutenlang sass ich einfach nur da und genoss dieses Glueck.

30. August 2009

# 10 Fremd unter Fremden / Delhi, Agra

Die drei Weisen (der grossen Religionen) starrten einander an, unglaeubig, mit angehaltenem Atem.
Alle Augen richteten sich auf mich.
"Piscine" fragte der Imam ernst, "ist das wirklich wahr? Hindus und Christen sind Goetzendiener. Sie haben viele Goetter.
"Und Muslims haben viele Frauen" konterte der Pandit.
Der Blick des Priesters wanderte vom einen zum anderen. "Piscine", fluesterte er beinahe, " nur Jesus kann deine Seele retten."
"Dummes Geschwaetz" fuhr der Pandit ihn an. "Christen wissen nichts von Religion."
"Schon vor langem sind si vom Pfade Gottes abgekommen", pflichtete ihm der Imam bei.
"Wo ist denn Gott in eurer Religion?" schnaubte der Priester. "Ihr habt doch nicht ein einziges Wunder, das beweist, dass es Gott ueberhaupt gibt. Was ist denn das fuer ein Glaube, bei dem es keine Wunder gibt?"
"Es ist eben kein Zirkus, bei dem die Toten aus den Graebern huepfen! Uns Muslims ist das Wunder des Lebens gut genug. Ein Vogel in den Lueften, ein Regentropfen, die Aehren auf dem Felde-das sind unsere Wunder."
"Nichts gegen Regen und Federvieh, aber wir wollen doch wissen, ob Gott mit uns ist."
"Tatsaechlich? Na, Gott hat ja gesehen, was er davon hatte, als er mit euch war - umbringen wolltet ihr ihn! Mit dicken Naegeln habt ihr ihn ans Kreuz geschlagen. Behandelt ein anstaendiges Volk so seine Propheten? UNS hat der Prophet Mohammed - Friede sei mit ihm - das Wort Gottes ohne erbaermlichen Firlefanz gebracht, und er ist als alter Mann gestorben."
"Als ob das Wort Gottes einem jaemerlichen Kaufmann in der Wueste offenbart wuerde! Epileptische Anfaelle hat er gehabt, vom SChwanken des Kamels: das hat nichts Gott zu tun. Oder es war ein Sonnenstich."
(weiter ab Seite 122)


Wer ist hier im Zoo? Ich mit den erdfarbenen Travellerklammotten, den ausgelatschten und zweifach reparierten Ledersandalen, der Kameratasche ueber der Schulter und dem roten Kopftuch das manch inder wie ein verkappter Turban erscheinen mag. Oder sind es die Menschen, die ich aus Rikscha und Zug sehe, beschaeftigt mit Alltagskram oder einfachem Zeit vertreiben.
Immer wieder fokussiere ich Menschen durch die Linse und so werden sie zu Objekten. Aber dann sind da all die Inder, die - teilweise mit offenem Mund - starren und so minutenlang mein Handeln verfolgen. Wenn ich mich mit anderen Westlern unterhalte, hoeren sie zu. Also, wer beobachtet hier wen? Wer wird hier ausgestellt und praesentiert?
Die Welten verschwimmen. Der eigene Standort ist unsicher. Wer sitzt im Kaefig. Das Gefuehl des Beobachtens und beobachtet werden ist aber omnipraesent. Es besteht eine Grenze, eine Mauer, ein Zaun zwischen uns. Ob man nun drinnen oder draussen ist, oder es vielleicht auch beide sind.
Drum versuche ich immer wieder diese Grenze zu ueberschreiten. Gehe auf die Menschen zu, spreche sie an, versuche die ausgetrampelten Pfade der Touristen zu meiden und immer mal wieder links und rechts zu schauen. Die Moeglichkeit zu stoppen, wenn man stoppen moechte ist befreiend. Sie loest diesen imaginaeren Zaun ab und zu. Ich erinner mich an das Geburtstagsabendessen gestern mit Anne und Cathy in einem schicken chinesisch-taiwanesischen Restaurant im Herzen Delhis. Da wir doch eher komplizierte Gaeste waren, beziehungsweise unsere Bestellung es war, wurden wir vom Restaurantchef bedient. Einem zunaechst steif wirkenden Inder. Der nicht nur aufrecht geht, sondern auch ungebrochen englisch spricht. Wir sprechen zunaechst ueber das Essen und sind noch Gaeste. Doch wir suchen den Kontakt und er ist ein Gespraechspartner auf Augenhoehe. Und so erfahren wir etwas ueber ihn, seine Familie, ueber das Glueck. Kurz vorher ein alter Rikschafahrer, mit dem wir kurz, aber intensiv ueber Religion und Glauben diskutierten. Gibt es Gott oder ? Wer ist es? Er entliess uns mit der Frage "What is the supernatural power?"
"Bapu Gandhi sagt, alle Religionen sind wahr", plapperte ich (Pi) los. "Ich will doch nur Gott lieben." Ich blickte zu Boden und wurde rot im Gesicht.
Das sind zwei positive Beispiele, von denen ich noch mehr erfahren habe. Satt bin ich trotzdem noch nicht. Die Entscheidung hier und dort auf einen "wichtigen Spot" eine weitere Beruehmtheit zu verzichten und dafuer Zeit fuer Spontanitaet zuzulassen ist meiner Ansicht nach der richtige Weg, um den Kaefig zu entfernen.
Morgen frueh geht es auf jedenfall wieder in den Kaefig - das Taj Mahal in Agra (suedlich von Delhi). An der Informationstafel wird stehen: "Ein Rudel gewoehnlicher Homo touristo. Ganztaeglich aktiv. Trinkt viel Wasser und Cola. IMMER gekuehlt aus der Flasche. Geniesst es seinen Fotoapparat zu benutzen und produziert endlos digitalen muell. Bitte nicht staendig nach seiner Herkunft oder seinem Namen fragen, da sonst irgendwann gereizt."

25. August 2009

#9 Rajastan





Ich bin woanders als zuvor. Chennai wurde von meinem Reisefuehrer so beschrieben: „...Die Kehrseite dieses schnellen wirtschaftlichen Wachstums ist eine städtische Infrastruktur, die kurz vor dem Zusammenbruch steht. Armut, erdrückende Hitze und Umweltverschmutzung hinterlassen wahrscheinlich einen stärkeren Eindruck von Chennai als der ins Auge stechende Reichtum seiner modernen, marmornen Einkaufspassagen.“
Und ehrlich gesagt fallen mir nur negative Eigenschaften ein, wenn ich Chennai beschreiben soll. Aber es hat mir trotzdem gefallen. Es war ein weiteres Zuhause in der weiten Welt.

Nun bin ich aber woanders - auf Reise durchs maerchenhafte Rajastan. Hier machen alte charismatische Menschen im Turban Musik auf seltsamen, kreativen Blas- und Klopfinstrumenten. Hier reihen sich farbige Haeuser unendlich weit die haenge hinauf. Halb Jodhpur ist indigo-blau. Weil dies kuehlt und Insekten vertreibt. In Udaipur liegt der Palast im See. Er schwimmt scheinbar. Ich erlebe ein Maerchen aus 1001 Nacht. Da die Zeit gerade knapp ist, lasse ich lediglich Bilder sprechen. Der Pi Patel hat sich diesmal auch noch auf seinem treibenden Floss (Hotelzimmer) versteckt und ist daher diesmal nicht zu sprechen. Der Ort am Fenster mit dem Vorhang kommt der Beschreibung des Vorhangs aus einem frueheren Post sehr aehnlich, oder?

Link meiner Tour in Rajastan:
http://maps.google.co.in/maps?f=d&source=s_d&saddr=NH+8&daddr=Jodhpur,+Rajasthan+to:jaisalmer&geocode=FV7UdgEdpHpkBA%3BFYoGkQEduz5aBA%3B&hl=en&mra=ls&sll=26.480407,72.883301&sspn=4.748461,7.064209&ie=UTF8&ll=25.948166,71.905518&spn=4.770208,7.064209&z=7)

21. August 2009

#8 Abschied / Chennai

Am 21.Juni 1977 brachen wir aus Madras auf, mit einem japanischen Frachter Tsimtsum, der unter Panamaflagge fuhr. [...] An unserem letzten Tag in Pondicherry verabschiedete ich mich von Mamaji, von Mr. und Mrs. Kumar, von meinen Freunden, sogar von vielen Fremden.[...]
Am tag vor dem Aufbruch wies sie (meine Mutter) auf einen fliegenden Zigarettenhändler und fragte: "Sollen wir noch ein Päckchen kaufen?" In Kanada gibt es auch Zigaretten", sagte Vater. "Und was willst du damit? Bei uns raucht doch keiner."
Sicher, in Kanada gibt es Zigaretten - aber auch von Gold Flake? gibt es Arun Eiscreme? Fahren die Menschen Ambassadors?


Lebe Wohl. Auf Bald. Mal wieder ein Abschied, ein Lebensabschnitt, ein Wunsch auf ein Wiedersehen. Unsere Chefs Kennedy und Sheila kommen gleich mit leckeren indischen Speisen. Cathy und Anne sollten schon längst hier sein. Ist aber nicht so wild, denn Mario zelebriert auch jetzt schon seine Cocktail Fähigkeiten aus ehemaligen Wohnheimszeiten. Erster Drink: Pina Colada!

Heute war ein Hardcore Tag. Morgens zu einer Vorlesung in die Uni, auf dem Weg ein Crash mit nem Auto (nichts passiert, nur der Roller hat ein paar Schrammen mehr und fährt etwas kurvig) dann noch Sachen kaufen für heute Abend. Zurück nach Hause. Vorher noch einen Cafe beim Coffee Day. Denkste! Polizeikontrolle! "Über rot gefahren" heißt es. Völlig an den Haaren herbeigezogen. Vor, hinter und neben mir waren noch andere Autos, Rickschas etc. Nur mich wollten sie halt! Ich war schon unter Zeitdruck (Fotos noch bearbeiten für Sheila, Sachen packen, GEschenk für die Volunteers machen, noch zum Office, Mittagessen, den Roller reparieren,...) und dann stehen die vier Typen da und denken sich einfach was aus! Die Diskussion dauerte länger und wir haben gestritten. Ich unterstütze den korrupten Aparat doch nicht! Schlußendlich kam es zu einem Kompromis. Statt 500 Rupien hab ich einen Hunni bezahlt (sprich 1,50 Euro), weil ich ohne Helm gefahren bin. Dabei gibt es gar keine Helmpflicht. Naja, leichte Aggressionen wurden durch Kaffe und Zigarette besänftigt.
Im Abschlussgespräch mit Kennedy und Sheila haben wir sehr offen diskutiert. Echt cool. Ich habe viel gelobt, aber auch kritisiert. Der Spielplatz ist weit entfernt ein Spielplatz zu sein, aber der Grundstein ist gelegt. Aber Mario und Anne werden in den nächsten Monaten sicherlich noch einige Hürden überwinden. Grundsätzlich müssen Sheila und Kennedy ihre Organisation und vor allem ihre Mitarbeiter qualitativ weiterentwickeln (Englisch und Projektmanagement), wenn sie erfolgreich bleiben wollen. Wir sind alle froh miteinander gearbeitet zu haben. Eine sehr intensive Zeit hier in Chennai. Noch zu frisch um Fazits zu ziehen, aber doch reif genug um in sich hinein zu hören und zu sagen: "Das war gut, das ich hier war! Für alle beteiligten!"

Jetzt genug mit dem Rückblick. Wie geht es weiter? Morgen früh mitm Flieger nach Udaipur in Rajastan im Norden. Dann wohl nach Jodhpur und definitiv nach Jaisalmer an der Grenze zu Pakistan. Von dort nach Delhi. Dort treffen mit Cathy und Anne. Geburtstag feiern. Dann Taj Mahal und von dort nach Mumbai. Dort eine Weile und dann über Dubai nach Deutschland. Was sich nach einem halben Jahr anhört dauert zwei Wochen. Aber keine Sorge liebe Reisebegleiter, wir sind doch alle gut darin in hektischen Zeiten die Oasen der Ruhe zu finden. Ein Cafe mit tollem Ausblick und entspannter Bedienung, barfuss laufen ueber einen von der Sonne aufgewaermten Marmorboden, eine weite Wüste, ein Platz auf dem Dach... Getreu dem Motto einer Trekkingmarke: "Es gibt tausend Arten von Lärm, aber nur eine Stille!"
Oh, es klopft. Die Gäste...

@Judith und alle Pondis: Ich war dort. Es wird noch einen Rückblick darauf geben!

P.S.: Der Abend war einfach mal hardcore. Wir sind nach der Verabschiedung in unserer wohnung ins Meridian Hotel und letztendlich auf einer Privatparty gelandet. Ein Haus, in dem der besitzer und seine freunde nur absteigen, wenn sie eine afterpartz brauchen. Es waren so 12 Leute da, ganz bunte mischung. Das interieur: Weisse ledersofas, moderne Kunst an den Waenden, zwei ebenen voller Prunk und Protz. Der Kuehlschrank gefuellt mit dem besten schnaepsen und weinen. Im Tiefkuehlfach Nudeln mit verschiedenen sossen zum Aufwaermen in der Mikro. Dazu noch zwei Angestellte, die alle machen,was der Gastgeber erwarten. Wir fuehlten uns etwas falsch dort, haben andererseits den luxus auch genossen. Der eine angestellte hat uns im weissen lexus nach hause gefahren. Dann noch ne stunde packen und ab ging es zum Flieger...

15. August 2009

#7 Monsun / Chennai

"Ich hörte ein Platschen und sah hinunter zum Wasser. Der Anblick verschlug mir den Atem. Ich hatte gedacht, ich sei allein. Die ruhige Luft, das wunderbare Licht, das Gefühl relativer Sicherheit - all das hatte die Illusion geweckt. In unserer Vorstellung sind ja Stille und Einsamkeit und Frieden untrennbar verbunden. Oder kann man sich vorstellen, dass man ruhig und friedlich in einer belebten U-Bahn-Station sitzt?"
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Ich glaube der Monsun hat Chennai heute abend um 1.15 erreicht, als wir den Club verlassen haben. Morgen geht es erst zum Bäume pflanzen auf den Spielplatz, dann nach Pondicherry. Träume werden wahr!

13. August 2009

#6 Reiseführer zum Tiger / Mudumalai National Park

"Kommt mit", sagte Vater.
Vom Haus gin es durch das Toor zum Zoo. [...]Wir kamen zu den Großkatzen, unseren Tigern, Löwen und Leoparden. Babu, der Wärter wartete schon auf uns.[...]Die Käfige waren leer, bis auf einen: MAHISHA, der Patriarch unter unseren bengalischen Tigern, durfte noch nicht nach draußen. Als wir eintraten, kam er sofort an die Käfigstäbe, mit einem furiosen Fauchen, die Ohren angelegt, die runden Augen fest auf Babu geheftet. Er fauchte so laut und wütend, dass das ganze Raubtierhaus zu beben schien. Mir schlotterten die Knie. Ich drückte mich an Mutter. Auch sie zitterte. Selbst Vater brauchte einen Moment, bis er sich gefasst hatte. Nur Babu machte der Wutausbruch und der Blick, der ihn durchbohrte, nichts aus. Sein Vertrauen in die Eisenstangen war unerschütterlich. Mahisha ging nun in seinem Käfig auf und ab, immer bis an die Stangen.
Vater stellte sich vor uns hin. "Was für ein Tier ist das?" Er musste brüllen, damit wir ihn durch Mahishas Fauchen hören konnten.
"Ein Tiger", antworteten Ravi (mein Bruder) und ich im Chor und bestätigten brav, was ja nicht zu übersehen war.
"Sind Tiger gefährlich?"
"Ja, Vater, Tiger sind gefährlich"
"Tiger sind sehr gefährlich", brüllte Vater. "Ihr müsst begreifen, dass ihr niemals - unter keinen Umständen - einen Tiger anfassen dürft; niemals dürft ihr ihn streicheln oder auch nur die Finger durch das Gitter stecken. Ist das klar, Ravi?"
Ravi nickte eifrig.
"Piscine?"
Ich nickte noch eifriger. Trotzdem sah er mich weiter an. [...]
"Ich werde euch zeigen, wie gefährlich Tiger sind", fuhr er fort. "Ich will, dass ihr diese Lektion behaltet, bis an euer Lebensende.
Er sah Babu an und nickte. [...]Babu öffnete einen Käfig neben dem Tigerkäfig. [...] Ziege [...]. Babu ging an die Tür zwischen den beiden Käfigen und begann, sie aufzuziehen.[...] In Erwartung seiner Beute verstummte Mahisha. Zwei Dinge hörte ich in der plötzlichen Stille - Vaters Worte "Vergesst diese Lektion niemals", den Blick grimmig auf das Schauspiel geheftet; und das Meckern der Ziege. Sie musste schon die ganze Zeit geschrien haben, aber wir konnten sie nicht hören. [...]
Ich weiß nicht mehr, ob ich das Blut spritzen sah, bevor ich mich in Mutters Arme flüchtete, oder ob ich es später in Erinnerung dazumalte, mit breitem Pinsel. Aber die Ohren konnte ich nicht verschließen. Was ich hörte, versetzte mich in äußerste vegetarische Panik.
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Am letzten Samstag war der erste Tag "Spielplatz-Bau für Kannagi Nagar/Thuraipakkam". Alles was nicht klappte und das was dann doch klappte, wäre einen weiteren Eintrag wert. Doch ich halte mich an Leif, der vor meiner Reise meinte: "Schön, dass du einen Blog hast, aber schreib bitte nicht immer vierseitige Einträge!"
Nun denn möchte ich euch von einem anderen Fetzen Indien erzählen. Dem Mudumalai National Park an der Grenze zwischen den Bundesstaaten Tamil Nadu(da wo Chennai liegt=da wo ich immer bin) zu Kerala. 10 Nachtzugstunden entfernt. Ein Tigersprung für indische Verhältnisse!

Mario und ich haben auf dem Weg zufällig vier Spanierinnen kennengelernt (Natalia, Natalia, Marta und Sofie),mit denen wir vor zwei Wochen in Kanchipuram (der Motorradtrip) im selben Hotel waren. Die kleine Welt mal wieder. Jeder Reisende kann hierzu seine Lied singen.
Wir wollten also mit denen in den Nationalpark. Tiere sehen! Sie hatten ne "private" Tour gebucht, für 200 Rupien den ganzen Tag in den Park, mit lokalem Guide und so. Eine von den Touren, die sich super anhören, aber der größte Alptraum sind. Uns holte ein Jeep vom Hotel ab. Geil! Doch der Jeep bringt uns nur zu einem größeren Bus, der schon voll ist und uns den ganzen Tag rumfahren soll. Wir werden unruhig. Ist das das, was wir wollen? Mit einer Reisegruppe im Bus unterwegs sein? Als der "Reiseführer" erzählt, dass wir zunächst die und die Filmspots und Filmdrehfirmen, Wasserfälle und sonstwie tollen Plätze sehen werden, graut es uns. Wir werden den Park, in dem wir Elefanten sehen wollen, nur am Rande touchieren. Vielleicht ein Foto aus dem Fenster des Busses heraus. Mario und ich erwachten aus diesem Alptraum. Wir wollen unsere eigene Tour. Zack raus. Anruf bei der Parkdirektion.
"Ja, privater Tourguide ist möglich". Einen Jeep angeheurt, der uns hinbringt und schon konnten wir unsere Tour starten. Die Spanierinnen, Mario, ich sowie unser Guide Sudesan Kuttappan, genannt Kutta. Dazu noch sein Kompagnion.
Auf einem viereinhalb stündigen Kletterweg wollen wir all die 320 Tierarten sehen, von denen Kutta spricht: Hier leben über 800 Elefanten, zig Wasserbüffel, Lippenbären, Asiatische Wildhunde, Streifenhyänen, Antilopen, Sambarhirsche, Muntjaks, Affen, Panther, Leoparden und es gibt sogar 42 bengalische Tiger. Ich denke an Richard Parker, aber auch an Mashita. Bewaffnet mit digitalen Kameras, Abenteuerlust und einem scharfen Auge machen wir uns auf den Weg durch den Wald, der immer wieder sein Erscheinungsbild änder: regenwaldartige Enge, weite Wiesen, von Elefanten "abgeholzte" Bambusansammlungen, blühende Heckensträucher usw. Unsere Blicke richten sich in alle Richtungen, doch wir sehen keine Tiere. Einfach nicht da! Da sehe ich ja im Schrebergartenviertel auf der Veddel größere und gefährlichere Tiere. Springende Kanninchen und bellende Hunde und so!

Die ersten zwei Stunden vergehen. Ein paar kreischende Affen, seltsame Vögel, ein Dschungelhuhn, einen Pfau, irgendwann auch mal Wasserbüffel und zwei "Bambis"(Kutta). Das soll jetzt nicht überzogen klingen, aber ich hab mehr erwartet. "Bambis" kenn ich aus dem Paterholz in Beckum und die anderen Tiere sind schön, aber ich will richtige Tiere. Ich will endlich Elefanten sehen. Ok, ein freilebender bengalischer Tiger wäre auch ein Traum, aber den sieht selbst Kutta maximal einmal im Monat.
Mehr und mehr beginne ich an all dem zu Zweifeln, was Kutta sagt, fange an nachzurechnen. All diese Tiere verteilen sich auf eine Fläche von 320 Quadratkilometer, was fast der Fläche von Deutschlands entspricht. Und in diesem Gestrüpp, das so groß ist wie Deutschland will er mir einen der 800 Elefanten zeigen! Klar, er ist hier aufgewachsen, kennt den Park in und auswendig und sowas bekommt man dann zu hören. Natürlich hat er auch noch "seine" Story anzubieten, als er schonmal von einer wildgewordenen Elefantenmutter angefallen wurde und nur haarscharf überlebte. Der Park ist wunderschön. Die Landschaft nach dem vorherigen sintflutartigen Regenfall rein und erfrischt und doch atemberaubend. "Nach dem Regen haben wir gute Chancen Elefanten zu sehen". Leise schleichen wir uns hinein. Wir tierhungrigen Touristen folgen brav unserem Führer. Seine Schritte werden langsamer. Er hebt die Hand und bedeutet uns damit sofort stehenzubleiben. Kein Wort. Irgendwo entfernt knackt etwas. Der Gedanke, der bengalische Tiger Mahisha oder auch Richard Parker könnte sich gleich auf mich stürzen erzeugt in mir ein Masala aus Reiz, Angst und Neugier. Doch wieder nichts. Der Abenteuerkick war schön, aber schon wieder kein Tier gesehen. Wir gehen weiter. Die Mädels haben irgendwelche Blutegel am Bein, das war es aber auch schon die größte Gefahr. Keine gefährlichen Tiere! Der Nachmittag ist vorbeigezogen, wir schießen Gruppenfotos mit unseren Guides, die schon etwas den Charakter von Abschied haben. Noch nicht mal einen Elefanten gesehen! Die dämmrige Sonne und die Zeit für Gedanken lassen die Realität immer klarer erscheinen.

Klar, Kutta konnte uns all die Hinweise auf Elefanten zeigen: Schlammsulen, umgerissene Bambusstauden und Laubbäume, mit dem Rücken abgeriebene Rindenbrocken und auch eine unzählbar große Zahl Elefantenhaufen. Wirklich aufregend allerdings war ein Antilopenskelett auf einem Baum. Wohl von einem Panter. Ich glaube, dass es diese wilden Tiere wirklich hier gibt, aber sie sind einfach Humanophob. Kommt ein Mensch in die Nähe, dann fangen sie an verstecken zu spielen. Und das können sie gut! Eckstein, Eckstein alles muss versteckt sein. Klar, die Raubtiere verkriechen sich auf die Bäume, in Unterschlüpfe oder Höhlen. Wasserbüffel sind ja irgendwo Kühe. Sie bleiben einfach stehen und machen nichts. Das können sie gut. Kleinere Tiere verziehen sich ins Unterholz, Vögel in ihre Nester. Aber der eigentliche König in diesem Spiel ist der Elefant. Ein Elefant ist scheinbar brilliant darin, seinen massigen Körper arg lautlos zu verbergen. Einmal haben wir dann doch einen gehört, der Laute aus seinem Versteck gegeben hat. Nach und nach Bäume sahen wir fallende . Wir konnten sogar sehen, wie in drei Meter Höhe Äste abgerissen wurden. Wir haben den Elefanten schon angezählt, aber gesehen haben wir ihn schlussendlich nicht!
Kutta zog uns weiter. Wir konnten kaum gehen, weil wir doch wussten, dass in 40 meter Entfernung ein Elefant sein muss , den wir sehen wollen. Blende und Belichtung der Kamera sind im manuellen Modus entsprechend den Lichtverhältnissen eingestellt. Nichts da. Kutta setzte sich durch und so sollten wir das Reservat Mudumalai ohne die Bilder verlassen, die wir uns vor unseren inneren Augen zuvor gemacht hatten! Ein beeindruckender Tag, an dem ein bisschen Wehmut zurückbleibt, doch etwas verpasst zu haben.

Doch dann kommt alles alles. Tiger, Tiger brüllt uns ein Fremder Inder mit tiefer Stimme im Flüsterton entgegen. Er zeigt das Zeichen an, was für mucksmäuschenstille steht. Schnell, aber jeden Schritt bedacht folgen wir ihm auf einen 5 meter hohen Felsbrocken. Ein Fotograph mit Telezoom auf einem Stativ sind das erste was wir sehen. Die Linse zeigt direkt auf zwei bengalische Tiger! Auch wenn sie ca. 70 Meter entfernt sind, so erkennt man doch ihre Streifen und die Nackenhaare, die sich wie eine Rolle hinter dem Kopf auftürmen, wenn das liegende Männchen den Kopf zu uns dreht. Du bist also mein Richard Parker! Hallo! Auch wenn der Tiger viel zu weit weg ist für ein scharfes Foto, so säusel ich ihm ein leises "Hallo" entgegen. Bin gebannt und glücklich. Das Weibchen steht daneben, bewegt sich langsam und genüsslich hin und her, verschwindet nach einiger Zeit. Irgendwann läuft Kutta - unser Guide - wie ein geisteskranker in Richtung Tiger. Dieser verhält sich nicht wie Mahisha mit der Ziege, sondern dreht sich um und läuft in Richtung Dschungel.

"Ich war mir sicher, dass er sich nun zu mir umdrehen würde. Er würde mich ansehen. Er würde die Ohren anlegen. Er würde knurren. Etwas in dieser Art würde er tun, zum Abschluss der Zeit, die wir miteinander verbracht hatten. Aber er dachte gar nicht daran. Sein Blick war starr auf den Dschungel gerichtet. Und dann verschwand Richard Parker, der Gefährte meiner langen Reise, der mächtige, angsteinflößende Tiger, der mich gerettet hatte, mit einem kleinen Sprung für immer aus meinem Leben."
P.S.: Sorry Leif, hat nicht geklappt mit der Kürze, obwohl ich schon so viel ausgelassen habe, was an Geschichten und Bildern entstanden ist.

7. August 2009

#5 Warum ziehen Leute fort? / Thuraipakkam

"Warum ziehen Leute fort? Was bringt sie dazu, ihre Wurzeln auszureißen und alles Vertraute zurückzulassen, aufzubrechen zu einem großen Unbekannten jenseits des Horizonts? Warum den Mount Everest der Behörden besteigen und sich wie ein Bettler dabei fühlen? Warum in einen fremden Dschungel gehen, wo alles neu, anders und gefährlich ist?
Die Antwort ist überall die gleiche: Sie ziehen fort, weil sie auf ein besseres Leben hoffen."
(weiter ab S.138)
Die Menschen in Thuraipakkam (2 stunden südlich von Chennai) haben ihre Wurzeln woanders. Sie lebten in den Slums in der Innenstadt, am Strand von Santhom und in anderen Gebieten. 13 Slums wurden geschlossen, damit Chennai eine Blüte touristischer Schönheit werden kann - nach Vorstellung der Regierung. 70.000 Menschen wurden umgesiedelt und leben jetzt in Thuraipakkam. Die Gleichförmigkeit der Gebäude erinnert an kommunistische Siedlungen, doch die sichtbare Armut erinnert eher an Ghettos. Die Infrastruktur ist mies: keine staatlichen Schulen in der Nähe, keine ärztliche Versorgung, Entfernung in die Stadt 2 Stunden, die Wassertanks werden nur 2 mal die Woche gefüllt, die Müllabfuhr kommt fast garnicht. Trotzdem haben die Menschen hier objektiv gesehen mehr als vorher, denn jetzt haben sie Steinhäuser, die sogar halbwegs akzeptable Wohnungen beinhalten. Doch eins haben sie nichtmehr: Ihr Zuhause, ihre Heimat!
Nur so kann ich mir erklären, wieso sie so mit "ihrem" neuen Ort umgehen. Innerhalb der Reihenhaussiedlung befindet sich Brachland, bestehend aus Geröll und Müll. Im Nutzungsplan der Stadt wird diese Fläche als "Park" bezeichnet.
UDAVI möchte hier gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen einen Raum schaffen, in dem diese toben, spielen und sich ausprobieren können. Für den sie aber auch nach und nach Verantwortung übernehmen müssen. Was heißt das? Morgen beginnen wir dort einen Spielplatz zu bauen (siehe Grafik). Das Konzept und die Planung habe ich diese Woche mit den Mitarbeitern von UDAVI und den Volunteers ausgearbeitet. Das Budget ist sehr klein, so dass zunächst Handarbeit angesagt ist. Sponsoren für Spielgeräte suchen wir in der nächsten Woche. Ich bin gespannt, wie der Tag morgen abläuft. Ca. 25 Kinder und Jugendliche laufen da morgen auf, Schaufeln und Schubkarren hat Jessudoss hoffentlich organisiert. Ein wenig habe ich die Mentalität der Inder schon kennengelernt, so dass ich weiß, dass die Lebensdauer von Planungen eher kurz ist. Doch ich habe auch erfahren, welche Begeisterung die Jugendlichen an den Tag legen können.
Die Hoffnung ist, mit diesem Ort, den sie sich selbst gestalten ein Stück zuhause zu schaffen und so das Leben zu verbessern.

5. August 2009

#4 Vorhang zur Welt / Mamallapuram

"Ich aß mit Vergnügen und beobachtete den Sonnenuntergang bei wolkenlosem Himmel. Es war ein Augenblick der Entspannung. Das Himmelsgewölbe erstrahlte in den herrlichsten Farben. Auch die Sterne wollten ihren Teil dazu beitragen; kaum hatte sich die bunte Decke ein wenig gelüftet, da begannen sie schon auf tiefblauem Untergrund zu funkeln. Es wehte eine sanft, laue Brise, und die See bewegte sich sanft; die Wellen wirkten wie Tänzer, die bei einem Rundtanz in der Mitte zusammenkommen, die Hände heben und sie dann im Auseinandergehen wieder sinken lassen, und das immer und immer wieder."
[weiter ab Seite 294]
Am letzten Wochenende war ich mit Mario, Anne und Cathi in MAMALLAPURAM. Einem kleinen Touristenort: In Cafés Fruchtsäfte und Chai trinken, Garnelen in Restaurants am Sandstrand, Mondbeobachten auf den Felsen zur Brandung des Pazifik, mit dem Moped treiben und Gedanken streifen lassen:

Das Leben ist wie ein Vorhang, der verschiedenste Ausprägungen haben kann.
Der Vorhang kann aus dickem schwarzen Moltonstoff sein wie er auf Theaterbühnen verwendet wird, dessen Farbe allein schon Schwere enthält, die nach unten zieht. Je nach Gemütslage kann die Schwere durch Feuchtigkeit oder im Saum liegende Bleikugeln noch verstärkt werden. Ein frischer Windstoß bringt diesen Vorhang nicht aus der Starre, und es scheint als ließe sich der Vorhang nicht öffnen, oder verschieben. Dieser Vorhang kennt die Sonne nur aus Erzählungen und ist doch ein Strahl zu sehen, so saugt dieser schwarze Körper ihn auf, absorbiert ihn, bevor im Inneren auch nur eine Idee von Wärme entstehen kann.
Doch der Vorhang kann auch leicht und luftig sein. Aus beschem (@all: wie schreibt man diese Farbe?) fein gewebtem Leinenstoff, vielleicht so dünn und beweglich wie ein Segeltuch. Er schlägt leichte Wellen, wenn die Zunge des Windes ihn streichelt. Anstatt träg herabzuhängen bewegt er sich im Spiel mit Wind und Sonne in unrythmischer Weise. Er nimmt das Sonnenlicht auf der einen Seite auf, und hinterlässt auf der anderen, der inneren Seite ein wohlig warmes Gefühl der Geborgenheit. Das grelle Licht wird so angenehm gedämpft, dass es weich und greifbar wird. Möchte man den Stoff berühren, so bewegt er sich wie wellenförmig, aber drucklos wie ein Netz und zart wie Samt über die Haut. Dieser Vorhang bleibt so unverbindlich wie ein Feder und doch bleibt das angenehme Empfinden zurück, eine Welle gesehen zu haben.
Vorhang zu! MAMALLAPURAM!

30. Juli 2009

#3 Wilde Tiere in der Freiheit

Als Fortsetzung von #2 und als Antwort auf Christophs Kommentar:

…So etwas glauben die Leute. Aber es ist nicht wahr. Das Leben der Tiere inder Wildnis wird von Zwang und Notwendigkeit bestimmt, sie leben in einemunerbittlichen System von Macht und Unterwerfung, in einer Welt, in der esFurcht im Überfluss gibt und Nahrung knapp ist. In der ein Revier rund um die Uhr verteidigt werden muss und Parasiten nie auszurotten sind.

Was bedeutet in so einer Welt Freiheit? In der Praxis sind Tiere der Wildnis weder in der Zeitnoch im Raum frei und auch nicht in ihren persönlichen Bindungen. In der Theorie– das heißt als rein physische Möglichkeit betrachtet – könnte ein Tier überallgehen und alle sozialen Konventionen und Grenzen seiner Spezies hinter sichlassen. Aber ein solcher Schritt ist im Tierreich noch unwahrscheinlicher, alsbei unserer eigenen Gattung, wo zum Beispiel ein Kaufmann mit allendazugehörigen Bindungen – an Familie, Freunde, die Gesellschaft – alleshinwerfen und sein Leben hinter sich lassen könnte, davonspazieren mit nichtsals dem Kleingeld in der Tasche und den Kleidern am Leib. Wenn ein Mensch, daswagemutigste und intelligenteste aller Geschöpfe, nicht einfach hinaus in dieWelt zieht und ein Fremder unter Fremden wird, warum sollte dann ein Tier, dasvon Natur aus weit konservativer ist, es tun?


Liebe Leute der Reisefraktion,
von einer Reise geht es in die nächste Reise. Sonntag morgen halb elf. Ricky, der Neffe von unserem Chef Kennedy, hat mir erklärt, wie die Schaltung eines Motorrads funktioniert und wie viel Bakschisch ich einplanen sollte für mögliche Polizeikontrollen. Von Chennai aus ging es mit Mario auf Zweirädern nach Kanchipuram – die Stadt der tausend Tempel, ein Pilgerort. 70 Km auf dem Motorway. Eine spontane Übernachtung, Teilnahme an zwei Zeremonien (Pujas), locker-leichtes Sightseeing. Sowohl der Weg auf dem Bike, als auch die Orte waren befreiend, inspirierend und aufregend.

Da sich Schönheit am Besten visuelle ausdrücken lässt, verweise ich an dieser Stelle auf die erlesene Auswahl digitaler Photographie oberen Rand (diesen Fotoordner werde ich im weiteren Verlauf immer weiter ergänzen). Auf dem Rückweg noch einen Bogen in Richtung Küste nach Keralam rundete diesen Trip ab. Da wir schon um halb sechs morgens mit der aufgehenden Sonne vor Augen losgefahren sind, waren wir auch halbwegs pünktlich um 12 zurück bei der Arbeit. Und Ricky war froh, dass er sein Bike heile wieder hatte.





Ich hab fürs nächste Wochenende schon mal leise angefragt. Es geht nach Mamallapuram. Was sich nicht nur schön anhört, soll auch schön sein. Aber auch schön touristisch.
Manch einer – wie mein Mitbewohner Mario - könnte meinen ich wäre nur hier zum urlauben. Nein , dass ist nicht der Fall. Ich habe die letzte Woche Einblicke in die verschiedenen Projekte von UDAVI bekommen: Straßenkinder, Arbeit mit geistig Behinderten, Unterstützung von Tsunami-Opfern sowie der Menschen in den Slums (Mehr auf http://www.udavi.com/). Der Unterstützungsbedarf ist scheinbar grenzenlos. Mittlerweile wächst auch schon meine eigene Idee und Aufgabe. Dazu später mehr…

P.S.: Das hier ist meine Handynummer:

0091 9566197110

Mit der 010058 als Vorwahl kostet es nur 1,4 Cent/Minute (siehe: http://www.010058.com/call_by_call/tarife.php)

Das war die Strecke:

http://maps.google.de/maps?f=d&source=s_d&saddr=chennai,+anna+nagar&daddr=kanchipuram,+indien&hl=de&mra=ls&sll=12.83214,79.699806&sspn=0.09239,0.208912&g=kanchipuram,+indien&ie=UTF8&ll=13.081652,80.157452&spn=0.092298,0.208912&z=13