13. September 2009

# 12 Dubai / Schockstarre

"Man kann auch sagen, ein Schiffbrüchiger ist gefangen zwischen den krassesten, zermürbensten Gegensätzen. " (weiter ab Seite 363)


Kultur Indien: Indien ist die größte Demokratie der Erde und ein Land mit vielen Kontrasten und scheinbaren Widersprüchen: Permanenter Straßenlärm trifft auf innere Ruhe durch Meditation und Yoga. Moderne Komplexe internationaler IT-Konzerne liegen in Sichtweite von überbevöllkerten, vermüllten Slums. Schlafende Menschen am Wegesrand unter einer lumpigen Decke vs. Partys in einem schicken Loft, mit moderner Kunst, weißen Ledercouches, einem Kühlschrank, der keine (kulinarischen) Wünsche offen lässt und zwei Hausdienern, die einem auch um fünf Uhr morgens noch etwas zu essen zubereiten. Kopfschütteln und "ja" meinen. Angenehme Hilfsbereitschaft und ärgerliche Fehlinformationen. Das Wetter in Chennai ist im Sommer geprägt durch schwüle Hitze und spontane Regenfälle, die nicht die erhoffte Abkühlung bringen. Auch wenn der "Durchschnittsinder" weniger Englisch spricht als erwartet, so kommt man im Alltag und auf Reisen problemlos zurecht, da die Inder hilfsbereit und neugierig gegenüber Westlern sind. Hier gibt es eine Unzahl an Mücken, monsunartige Regenfälle und viel zu viele Speedbreaker (Hüppel um Autos herunterzubremsen. Die allerdings so hoch und unförmig und überraschend positioniert sind, dass sie eher gefährlich als nützlich sind.)

Kultur Dubai: Dubai ist wie eine Metropole im Computerspiel Sim City. Man kennt den Trailer des Spiels - Diverse Dokumentationen auf Pro Sieben, Sat 1 und Kabel 1. Moderne Glas-Stahl Komplexe in ausgefallenen Formen werden von Runde zu Runde aufgebaut. Von oben sieht man unten den sechsspurigen Highway mit perfektem Grün an der Seite und kleinen Autos, die wie an einer Schnur gezogen hin und her pesen. Hier und da noch etwas zur Erquickung des Emirs und der Bevölkerung: Ein moderner Park, eine Pferderennbahn, eine und noch eine Palmeninsel (die sehen wirklich so aus - zumindest aus dem Flugzeug), eine Metro, die auf Stelzen neben dem Highway entlang führt, eine überdimensionierte Einkaufsmeile (Dubai Mall ist das größte Geschäft der Welt mit der größten Glasscheibe der Welt (das Aquarium) neben dem größten Gebäude der Welt...). Bei nur 15% Einheimischen wird die Kultur auch wesentlich durch die Ausländer geprägt. Westliche Sportbars, exquisite Restaurants, frischgezapftes Strongbow, australisches Rumpfsteak sowie Touristen, die mit ihrer Canon Ixus verzweifelt versuchen den Burj Dubai - das mit 818 Metern höchste nutzbare Gebäude der Welt (Eröffnung im Dezember) . Hunderttausende aus Indien, den Philippinen, Pakistan, dem Jemen, Libanon oder anderen Ländern aus dem nahen und mittleren Osten wurden angeworben um bei über 40° die Hochhäuser der Zukunft zu bauen, die Wohnungen zu reinigen oder Taxi zu fahren. Vorm Jumeirah begegnen mir drei Porsche Cayenne nacheinander, besetzt mit einem Scheich im eleganten weißen Gewand (Kaftan), schlichter weißer Kopfbedeckung (Agal) und schwarzem Kopfreif (Guthra) . Es folgen ein Bentley, ein Jaguar, ein Lamborghini und eine fast ärmlich wirkenden S-Klasse. 4,6% der Einwohner sind Millionäre, gefühlt sind es aber mehr. Hier werden die Swimmingpools auf dem Dach heruntergekühlt, Bushaltestellen auf 18° temperiert und die Zimmer vom Reinigungspersonal alle zwei Tage sterilisiert (kann man das so sagen? Ihr wisst schon was gemeint ist. Im Vergleich zu Indien, bewege ich mich in einer permanenten Quarantäne-Zone. Hier liegt kein Müll, kein Zigarettenstummel auf dem Boden, alles glänzt wie neu, weil es neu ist, Bettler sehe ich keine.)
Wenn man sich im Spiel "Sim City Dubai" befindet, flutscht vieles locker. Ein Taxi hierhin, ein Taxi dorthin nehmen, ohne Gedanken an den Geldbeutel von der Karte bestellen und schmerzfrei mit der Kreditkarte bezahlen. Mit dem Taxi zurück, oder noch weiter. Geboten bekommt man dafür haben auch feinste Kost, an wunderschönen Orten. Glück für mich, dass ich den Jan kenne, der gerade in Dubai ein Praktikum praktiziert. Glück, dass sein einer Mitbewohner nicht da war und so hatte ich ein Zimmer mit eigenem Bad und Wanne (samt Bademantel) und ein äußerst luxuriöses Bett im 27. Stock des Hotel-Appartment-Komplexes des "The Place". So konnte ich die drei Tage Dubai genießen und hatte mit Jan und seinem anderen Mitbewohner Seb noch zwei Mitspieler, die mir die besten Plätze in "Sim City Dubai" zeigen konnten: Drei Highlights aus meiner Sicht:
  1. Wasserpfeife mit Traube-Minz-Aroma und dazu süße marokkanische Leckereien mit Früchten, Nüssen und Joghurt auf einer weichen Couch am Creek verzehren und der Entspannung eine Chance geben.
  2. Morgens um halb sechs von Sarahs-Party zum Meer stolpern, um dort im 35° warmen, fast öligen Wasser den Sonnenaufgang zu genießen.
  3. Ein Bier in "The Adress". Gegenüber vom Burj Dubai (800 Meter) befindet sich dieses Luxushotel. Im obersten Geschoss (63. Stock) befindet sich die Hotelbar, die (etwas zu viel) ausgestattet ist mit moderner Kunst und allerlei Schnickschnack. Die Bar ist eigentlich unwichtig. Doch der Ausblick ist ne Wucht. Man wechselt in "Sim City Dubai" in die VogelPerspektive. Die Häuser, Springbrunnen, Pools und selbst die Dubai Mall erscheinen winzig klein. Die Skyline in Sichtweite, im Hintergrund der Persische Golf- das Meer. ABER! Was ist das für ein Speer, der da ca. 150 Meter vor einem steht? Das ist der Burj. Verdammt ist das Ding riesig. Ja, das ist ein Ding. Das ist kein normales Gebäude mehr. Wir sind im 63. Stock und befinden auf einem drittel der Höhe des Burj. Wir können mit unserem Auge nicht gleichzeitig die Spitze und den Boden des Burj sehen. Holy Moly Shit. Hier hat sich "Big Mo" an die Grenze des Möglichen herangewagt. Ich schwanke immer wieder zwischen Faszination und Ablehnung.
"Big Mo"? Er heißt eigentlich Muhammad ibn Raschid al Maktum und ist der Emir von Dubai. Er ist zwar erst drei Jahre an der Macht, doch auf dem Besten Wege es seinen Vorgängern gleich zu tun: Die Stadt der Zukunft zu bauen. „Man muss sich entscheiden: Entweder ahmt man nach, oder man ergreift die Initiative. Wir wollen Pioniere sein.“
Wenn ich mich als ein "Spieler in Sim City Dubai" sehe, dann ist er die übergeordnete Instanz - der Master. Er lenkt die Entwicklung der Stadt wie ein Puppenspieler die Fäden. Er setzt die Regeln: Er kann spontan die Zahl der Urlaubs- und Feiertage bestimmen, denkt sich neue Gebäude und Hirngespinnste aus (es gibt ne Skihalle in Dubai) und auch die Härte der Ausübung des Ramadan wird durch ihn und seine Polizei bestimmt. Man fühlt sich etwas unfrei, wenn man erfährt, dass Essen, Trinken und Rauchen tagsüber in der Öffentlichkeit auch für Westler verboten ist. Andererseits gilt er als sehr sozial und ist beliebt bei allen Schichten der Bevölkerung und man kann sich mit Blick auf Diktatoren in umliegenden Staaten denken, dass der Master des Levels "Sim City Dubai" auch schlechter sein könnte.

Um den vorherigen Abschnitt auf eine Formel zu bringen:
(Kultur Indien-Kultur Dubai)/(Geprägt in Deutschland)= (KulturSchock x 3) + Faszination + Begeisterung + Ablehnung

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