2. September 2009

# 11 Campen / Jaisalmer, Thar Wueste

Nicht lang, und ein Wohlbehagen stellte sich ein. Mein Mund wurde wieder feucht und weich. Meinen Hals spuerte ich gar nicht mehr. Meine Haut entspannte sich. Meine Gelenke bewegten sich wieder muehelos. Mein Herz schlug in einem froehlicheren Rhythmus, und das Blut zirkulierte in meinen Adern wie die Wagen einer Hochzeitsgesellschaft, die hupend durch die Stadt ziehen. Die Muskeln fuehlten sich wieder kraeftiger und geschmeidiger an. Der Kopf wurde klarer. Ich war ein Toter, der weider zum Leben erwachte. Es war ein wunderbaes, wunderbares Gefuehl. Wer sich an Alkohol berauscht, der soll sich schaemen, aber der Wasserrausch ist die schoenste aller Extasen. Minutenlang sass ich einfach nur da und genoss dieses Glueck.
Ich war vor ein paar Tagen, die gefuehlt eine Ewigkeit entfernt sind, campen in der Thar-Wueste.

Campen bedeutet "unterwegs draussen essen und schlafen". Meine letzte Camping Tour war mit Ellen quer durch Holland und innerlich zog ich den ein oder anderen Vergleich.
  • Diesmal: Campen in der Wueste. Die Thar Wueste liegt an der Grenze zwischen Indien und Pakistan, besteht im wesentlichen aus Steinen, Gestruepp und vereinzelten Sand-Duenen.
  • Fortbewegungsmittel: Kamele im Schritt- und leichten Trabtempo.
  • Reisegruppe: Mein Kamel Lalu hat mich all den Weg getragen. An meiner Seite bzw. mit einer Kamelhalslaenge abstand zwei Chinesinnen (Jaoli und Mangjie) und ein Japaner (Ken), die ich in Jodhpur - einen Tag zuvor - kennengelernt habe. Die Chinesinnen waeren leicht aengstlich und fanden mich ja soooo mutig (unter anderem weil ich das Kamel selbst fuehren wollte und nicht von einem Guide). Der Japaner Ken war sehr zurueckhaltend und kommentierte vieles mit einer monotonen Hehehe-Lache, die ich nur von Japanern kenne. Dazu unsere beiden indischen Kamelfuehrer Thalib und Ali. Sie leben seit ihrer Geburt seit 14 bzw. 20 Jahren in der Wueste.
  • Essen: Satt wird man beim Campen stets von "einer Flamme". In Holland koch man sich als Fahrradtourist mit 80 KM in den Beinen auf einem Bunsenbrenner Nudeln mit Tomatensosse - mit oder ohne Kaese. In Indien ist man als Travelltourist nach 3 Stunden Kamelschritt im Hintern Chapati (Weizenfladen)und Kartoffel-Zwiebel Masala von einer Flamme aus ausgedorrtem Holz. Wesentlicher Unterschied: Man wird bekocht. Ja, das ist wahr und meine Camping-Ehre geriet kurz ins Wanken. Schliesslich geht man doch Campen, um zu spueren, dass man draussen ueberleben kann. Man moechte den ureigenen Jagd- und Sammelinstinkt wieder spueren. Das zurueckgreifen auf Hilfsmittel - wie Supermaerkte - kann man mit einem zugedrueckten Auge durchgehen lassen. Grundsaetzlich gilt: Draussen schmeckt es sowieso am Besten.
  • Getraenke: ca. 38 Grad warmes Wasser.
  • Sonstiges: Ab und an ein Beedi rauchen (ein mit etwas Tabak gefuelltes Tendublatt). Ein Beedi ist eigentlich eine "Arme Leute Zigarette". Wenn ich ein Beedi in einer Pause beim Spielplatzbau in den Slums geraucht habe, so belaechelten mich die Kinder und Jugendlichen. Warum? Ein Westler, der ja reich ist, raucht das Kraut, das arme und alte Menschen sowie Rajastani-Musiker rauchen. Hier zeigt sich, dass Humor nichts anderes ist als das Auseinanderdriften von Vorstellung (reicher Westler) und Realitaet (raucht Blaetter).
  • Besonderheit: In Holland gehoert eine gewisse Grundfeuchtigkeit der Kleidung zum Campen. In der Thar-Wueste ist dies ein Mindest-Sand-Anteil in den Chapattis.
  • Ablauf: Beim Campen verhaelt man sich eigentlich sinnfrei. Man bewegt sich in verzoegerter Geschwindigkeit (ein Zug oder Jeep waere viel schneller) von A nach B um unter eingeschreanktem Komfort zu "ueberleben". Eigentlich setzt man sich selbst Hindernisse. Zwischendurch quatscht man ueber dies und das, aber meistens doch ueber den Weg, den man gerade begeht. "Diesmal sprach die moderne G4-Gruppe (Inder, Chinese, Japaner, Deutsche) ueber Wueste, Kamele, Essen und Himmel. Mein Reisetagebuch habe ich erweitert um ein Dictionary der Weltsprachen: Gebrochenes Englisch, Hindi, Chinesisch, Japanisch sowie - nun ja - Deutsch!
  • Natur und Landschaft: So langsam kommen wir zu dem, was das Campen wirklich ausmacht. Die angestrebte Einheit mit der Natur. Man passt seinen Rhythmus an den Sonnenstand an, bewegt sich durch die Natur und lebt mit der Natur. Mutter Erde zeigt sich dankbar fuer all den Respekt ihr gegenueber und schenkt uns einen wundervollen Sternenhimmel in der Mitte der Wueste. Der Mond wacht gebieterisch ueber uns. Der Koerper ist zunaechst noch unsicher in der "neuen" Umgebung. Er benoetigt Weile um sein Stadtmensch-Verhalten abzulegen. Deshalb hoert man zunaechst nichts, wenn man draussen ist. Keinen Laerm, keine Motoren, keine rufenden Menschen. Doch dann passiert etwas und aus der "vermeintlichen Stille" wird ein Konzert aus Geraeuschen, die einem zuvor verborgen blieben: Der Sand, der ueber die Duenen fliesst und dabei die vereinzelt auftretenden Straeucher streichelt. Das Knarzen eines alten Baumes am Boden der Sand-Duene. Irgendwo weit entfernt eine Kuhglocke. Und dann der eigene Atem. Minutenlang sass ich einfach nur da und genoss dieses Glueck.

1 Kommentar:

  1. Lieber Gecko,
    es ist schön mit dir zu reisen! :-)...und macht Lust auf das Unterwegs sein. Obwohl ich ehrlich gesagt erstmal froh bin angekommen zu sein. Rastlosigkeit und Lust auf die Welt braucht doch immer wieder einen Ausgleich im Ankommen und Sein, Normalität und Gewohntem. Das erreiche ich gerade hier in Brisbane und freue mich sehr darüber! Hab du noch ein paar schöne Tage! Ich drücke dich, Hanna

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