"Kommt mit", sagte Vater.
Vom Haus gin es durch das Toor zum Zoo. [...]Wir kamen zu den Großkatzen, unseren Tigern, Löwen und Leoparden. Babu, der Wärter wartete schon auf uns.[...]Die Käfige waren leer, bis auf einen: MAHISHA, der Patriarch unter unseren bengalischen Tigern, durfte noch nicht nach draußen. Als wir eintraten, kam er sofort an die Käfigstäbe, mit einem furiosen Fauchen, die Ohren angelegt, die runden Augen fest auf Babu geheftet. Er fauchte so laut und wütend, dass das ganze Raubtierhaus zu beben schien. Mir schlotterten die Knie. Ich drückte mich an Mutter. Auch sie zitterte. Selbst Vater brauchte einen Moment, bis er sich gefasst hatte. Nur Babu machte der Wutausbruch und der Blick, der ihn durchbohrte, nichts aus. Sein Vertrauen in die Eisenstangen war unerschütterlich. Mahisha ging nun in seinem Käfig auf und ab, immer bis an die Stangen.
Vater stellte sich vor uns hin. "Was für ein Tier ist das?" Er musste brüllen, damit wir ihn durch Mahishas Fauchen hören konnten.
"Ein Tiger", antworteten Ravi (mein Bruder) und ich im Chor und bestätigten brav, was ja nicht zu übersehen war.
"Sind Tiger gefährlich?"
"Ja, Vater, Tiger sind gefährlich"
"Tiger sind
sehr gefährlich", brüllte Vater. "Ihr müsst begreifen, dass ihr niemals - unter
keinen Umständen - einen Tiger anfassen dürft; niemals dürft ihr ihn streicheln oder auch nur die Finger durch das Gitter stecken. Ist das klar, Ravi?"
Ravi nickte eifrig.
"Piscine?"
Ich nickte noch eifriger. Trotzdem sah er mich weiter an. [...]
"Ich werde euch zeigen, wie gefährlich Tiger sind", fuhr er fort. "Ich will, dass ihr diese Lektion behaltet, bis an euer Lebensende.
Er sah Babu an und nickte. [...]Babu öffnete einen Käfig neben dem Tigerkäfig. [...] Ziege [...]. Babu ging an die Tür zwischen den beiden Käfigen und begann, sie aufzuziehen.[...] In Erwartung seiner Beute verstummte Mahisha. Zwei Dinge hörte ich in der plötzlichen Stille - Vaters Worte "Vergesst diese Lektion niemals", den Blick grimmig auf das Schauspiel geheftet; und das Meckern der Ziege. Sie musste schon die ganze Zeit geschrien haben, aber wir konnten sie nicht hören. [...]
Ich weiß nicht mehr, ob ich das Blut spritzen sah, bevor ich mich in Mutters Arme flüchtete, oder ob ich es später in Erinnerung dazumalte, mit breitem Pinsel. Aber die Ohren konnte ich nicht verschließen. Was ich hörte, versetzte mich in äußerste vegetarische Panik.
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Am letzten Samstag war der erste Tag "Spielplatz-Bau für Kannagi Nagar/Thuraipakkam". Alles was nicht klappte und das was dann doch klappte, wäre einen weiteren Eintrag wert. Doch ich halte mich an Leif, der vor meiner Reise meinte: "Schön, dass du einen Blog hast, aber schreib bitte nicht immer vierseitige Einträge!"
Nun denn möchte ich euch von einem anderen Fetzen Indien erzählen. Dem Mudumalai National Park an der Grenze zwischen den Bundesstaaten Tamil Nadu(da wo Chennai liegt=da wo ich immer bin) zu Kerala. 10 Nachtzugstunden entfernt. Ein Tigersprung für indische Verhältnisse!
Mario und ich haben auf dem Weg zufällig vier Spanierinnen kennengelernt (Natalia, Natalia,
Marta und Sofie),mit denen wir vor zwei Wochen in Kanchipuram (der Motorradtrip) im selben Hotel waren. Die kleine Welt mal wieder. Jeder Reisende kann hierzu seine Lied singen.
Wir wollten also mit denen in den Nationalpark. Tiere sehen! Sie hatten ne "private" Tour gebucht, für 200 Rupien den ganzen Tag in den Park, mit lokalem Guide und so. Eine von den Touren, die sich super anhören, aber der größte Alptraum sind. Uns holte ein Jeep vom Hotel ab. Geil! Doch der Jeep bringt uns nur zu einem größeren Bus, der schon voll ist und uns den ganzen Tag rumfahren soll. Wir werden unruhig. Ist das das, was wir wollen? Mit einer Reisegruppe im Bus unterwegs sein? Als der "Reiseführer" erzählt, dass wir zunächst die und die Filmspots und Filmdrehfirmen, Wasserfälle und sonstwie tollen Plätze sehen werden, graut es uns. Wir werden den Park, in dem wir Elefanten sehen wollen, nur am Rande touchieren. Vielleicht ein Foto aus dem Fenster des Busses heraus. Mario und ich erwachten aus diesem Alptraum. Wir wollen unsere eigene Tour. Zack raus. Anruf bei der Parkdirektion.
"Ja, privater Tourguide
ist möglich". Einen Jeep angeheurt, der uns hinbringt und schon konnten wir unsere Tour starten. Die Spanierinnen, Mario, ich sowie unser Guide Sudesan Kuttappan, genannt Kutta. Dazu noch sein Kompagnion.
Auf einem viereinhalb stündigen Kletterweg wollen wir all die 320 Tierarten sehen, von denen Kutta spricht: Hier leben über 800 Elefanten, zig Wasserbüffel, Lippenbären, Asiatische Wildhunde, Streifenhyänen, Antilopen, Sambarhirsche, Muntjaks, Affen, Panther, Leoparden und es gibt sogar 42 bengalische Tiger. Ich denke an Richard Parker, aber auch an Mashita. Bewaffnet mit digitalen Kameras, Abenteuerlust und einem scharfen Auge machen wir uns auf den Weg durch den Wald, der immer wieder sein Erscheinungsbild änder: regenwaldartige Enge, weite Wiesen, von Elefanten "abgeholzte" Bambusansammlungen, blühende Heckensträucher usw. Unsere Blicke richten sich in alle Richtungen, doch wir sehen keine Tiere. Einfach nicht da! Da sehe ich ja im Schrebergartenviertel auf der Veddel größere und gefährlichere Tiere. Springende Kanninchen und bellende Hunde und so!
Die ersten zwei Stunden vergehen. Ein paar kreischende Affen, seltsame Vögel, ein Dschungelhuhn, einen Pfau, irgendwann auch mal Wasserbüffel und zwei "Bambis"(Kutta). Das soll jetzt nicht überzogen klingen, aber ich hab mehr erwartet. "Bambis" kenn ich aus dem Paterholz in Beckum und die anderen Tiere sind schön, aber ich will richtige Tiere. Ich will endlich Elefanten sehen. Ok, ein freilebender bengalischer Tiger wäre auch ein Traum, aber den sieht selbst Kutta maximal einmal im Monat.
Mehr und mehr beginne ich an all dem zu Zweifeln, was Kutta sagt, fange an nachzurechnen. All diese Tiere verteilen sich auf eine Fläche von 320 Quadratkilometer, was fast der Fläche von Deutschlands entspricht. Und in diesem Gestrüpp, das so groß ist wie Deutschland will er mir einen der 800 Elefanten zeigen! Klar, er ist hier aufgewachsen, kennt den Park in und auswendig und sowas bekommt man dann zu hören. Natürlich hat er auch noch "seine" Story anzubieten, als er schonmal von einer wildgewordenen Elefantenmutter angefallen wurde und nur haarscharf überlebte. Der Park ist wunderschön. Die Landschaft nach dem vorherigen sintflutartigen Regenfall rein und erfrischt und doch atemberaubend. "Nach dem Regen haben wir gute Chancen Elefanten zu sehen". Leise schleichen wir uns hinein. Wir tierhungrigen Touristen folgen brav unserem Führer. Seine Schritte werden langsamer. Er hebt die Hand und bedeutet uns damit sofort stehenzubleiben. Kein Wort. Irgendwo entfernt knackt etwas. Der Gedanke, der bengalische Tiger Mahisha oder auch Richard Parker könnte sich gleich auf mich stürzen erzeugt in mir ein Masala aus Reiz, Angst und Neugier. Doch wieder nichts. Der Abenteuerkick war schön, aber schon wieder kein Tier gesehen. Wir gehen weiter. Die Mädels haben irgendwelche Blutegel am Bein, das war es aber auch schon die größte Gefahr. Keine gefährlichen Tiere!
Der Nachmittag ist vorbeigezogen, wir schießen Gruppenfotos mit unseren Guides, die schon etwas den Charakter von Abschied haben. Noch nicht mal einen Elefanten gesehen! Die dämmrige Sonne und die Zeit für Gedanken lassen die Realität immer klarer erscheinen.
Klar, Kutta konnte uns all die Hinweise auf Elefanten zeigen: Schlammsulen, umgerissene Bambusstauden und Laubbäume, mit dem Rücken abgeriebene Rindenbrocken und auch eine unzählbar große Zahl Elefantenhaufen. Wirklich aufregend allerdings war ein Antilopenskelett auf einem Baum. Wohl von einem Panter. Ich glaube, dass es diese wilden Tiere wirklich hier gibt, aber sie sind einfach Humanophob. Kommt ein Mensch in die Nähe, dann fangen sie an verstecken zu spielen. Und das können sie gut! Eckstein, Eckstein alles muss versteckt sein. Klar, die Raubtiere verkriechen sich auf die Bäume, in Unterschlüpfe oder Höhlen. Wasserbüffel sind ja irgendwo Kühe. Sie bleiben einfach stehen und machen nichts. Das können sie gut. Kleinere Tiere verziehen sich ins Unterholz, Vögel in ihre Nester. Aber der eigentliche König in diesem Spiel ist der Elefant. Ein Elefant ist scheinbar brilliant darin, seinen massigen Körper arg lautlos zu verbergen. Einmal haben wir dann doch einen gehört, der Laute aus seinem Versteck gegeben hat. Nach und nach Bäume sahen wir fallende . Wir konnten sogar sehen, wie in drei Meter Höhe Äste abgerissen wurden. Wir haben den Elefanten schon angezählt, aber gesehen haben wir ihn schlussendlich nicht!
Kutta zog uns weiter. Wir konnten kaum gehen, weil wir doch wussten, dass in 40 meter Entfernung ein Elefant sein muss , den wir sehen wollen. Blende und Belichtung der Kamera sind im manuellen Modus entsprechend den Lichtverhältnissen eingestellt. Nichts da. Kutta setzte sich durch und so sollten wir das Reservat Mudumalai ohne die Bilder verlassen, die wir uns vor unseren inneren Augen zuvor gemacht hatten! Ein beeindruckender Tag, an dem ein bisschen Wehmut zurückbleibt, doch etwas verpasst zu haben.
Doch dann kommt alles alles. Tiger, Tiger brüllt uns ein Fremder Inder mit tiefer Stimme im Flüsterton entgegen. Er zeigt das Zeichen an, was für mucksmäuschenstille steht. Schnell, aber jeden Schritt bedacht folgen wir ihm auf einen 5 meter hohen Felsbrocken. Ein Fotograph mit Telezoom auf einem Stativ sind das erste was wir sehen.
Die Linse zeigt direkt auf zwei bengalische Tiger! Auch wenn sie ca. 70 Meter entfernt sind, so erkennt man doch ihre Streifen und die Nackenhaare, die sich wie eine Rolle hinter dem Kopf auftürmen, wenn das liegende Männchen den Kopf zu uns dreht. Du bist also mein Richard Parker! Hallo! Auch wenn der Tiger viel zu weit weg ist für ein scharfes Foto, so säusel ich ihm ein leises "Hallo" entgegen. Bin gebannt und glücklich. Das Weibchen steht daneben, bewegt sich langsam und genüsslich hin und her, verschwindet nach einiger Zeit. Irgendwann läuft Kutta - unser Guide - wie ein geisteskranker in Richtung Tiger. Dieser verhält sich nicht wie Mahisha mit der Ziege, sondern dreht sich um und läuft in Richtung Dschungel.
P.S.: Sorry Leif, hat nicht geklappt mit der Kürze, obwohl ich schon so viel ausgelassen habe, was an Geschichten und Bildern entstanden ist.