30. August 2009

# 10 Fremd unter Fremden / Delhi, Agra

Die drei Weisen (der grossen Religionen) starrten einander an, unglaeubig, mit angehaltenem Atem.
Alle Augen richteten sich auf mich.
"Piscine" fragte der Imam ernst, "ist das wirklich wahr? Hindus und Christen sind Goetzendiener. Sie haben viele Goetter.
"Und Muslims haben viele Frauen" konterte der Pandit.
Der Blick des Priesters wanderte vom einen zum anderen. "Piscine", fluesterte er beinahe, " nur Jesus kann deine Seele retten."
"Dummes Geschwaetz" fuhr der Pandit ihn an. "Christen wissen nichts von Religion."
"Schon vor langem sind si vom Pfade Gottes abgekommen", pflichtete ihm der Imam bei.
"Wo ist denn Gott in eurer Religion?" schnaubte der Priester. "Ihr habt doch nicht ein einziges Wunder, das beweist, dass es Gott ueberhaupt gibt. Was ist denn das fuer ein Glaube, bei dem es keine Wunder gibt?"
"Es ist eben kein Zirkus, bei dem die Toten aus den Graebern huepfen! Uns Muslims ist das Wunder des Lebens gut genug. Ein Vogel in den Lueften, ein Regentropfen, die Aehren auf dem Felde-das sind unsere Wunder."
"Nichts gegen Regen und Federvieh, aber wir wollen doch wissen, ob Gott mit uns ist."
"Tatsaechlich? Na, Gott hat ja gesehen, was er davon hatte, als er mit euch war - umbringen wolltet ihr ihn! Mit dicken Naegeln habt ihr ihn ans Kreuz geschlagen. Behandelt ein anstaendiges Volk so seine Propheten? UNS hat der Prophet Mohammed - Friede sei mit ihm - das Wort Gottes ohne erbaermlichen Firlefanz gebracht, und er ist als alter Mann gestorben."
"Als ob das Wort Gottes einem jaemerlichen Kaufmann in der Wueste offenbart wuerde! Epileptische Anfaelle hat er gehabt, vom SChwanken des Kamels: das hat nichts Gott zu tun. Oder es war ein Sonnenstich."
(weiter ab Seite 122)


Wer ist hier im Zoo? Ich mit den erdfarbenen Travellerklammotten, den ausgelatschten und zweifach reparierten Ledersandalen, der Kameratasche ueber der Schulter und dem roten Kopftuch das manch inder wie ein verkappter Turban erscheinen mag. Oder sind es die Menschen, die ich aus Rikscha und Zug sehe, beschaeftigt mit Alltagskram oder einfachem Zeit vertreiben.
Immer wieder fokussiere ich Menschen durch die Linse und so werden sie zu Objekten. Aber dann sind da all die Inder, die - teilweise mit offenem Mund - starren und so minutenlang mein Handeln verfolgen. Wenn ich mich mit anderen Westlern unterhalte, hoeren sie zu. Also, wer beobachtet hier wen? Wer wird hier ausgestellt und praesentiert?
Die Welten verschwimmen. Der eigene Standort ist unsicher. Wer sitzt im Kaefig. Das Gefuehl des Beobachtens und beobachtet werden ist aber omnipraesent. Es besteht eine Grenze, eine Mauer, ein Zaun zwischen uns. Ob man nun drinnen oder draussen ist, oder es vielleicht auch beide sind.
Drum versuche ich immer wieder diese Grenze zu ueberschreiten. Gehe auf die Menschen zu, spreche sie an, versuche die ausgetrampelten Pfade der Touristen zu meiden und immer mal wieder links und rechts zu schauen. Die Moeglichkeit zu stoppen, wenn man stoppen moechte ist befreiend. Sie loest diesen imaginaeren Zaun ab und zu. Ich erinner mich an das Geburtstagsabendessen gestern mit Anne und Cathy in einem schicken chinesisch-taiwanesischen Restaurant im Herzen Delhis. Da wir doch eher komplizierte Gaeste waren, beziehungsweise unsere Bestellung es war, wurden wir vom Restaurantchef bedient. Einem zunaechst steif wirkenden Inder. Der nicht nur aufrecht geht, sondern auch ungebrochen englisch spricht. Wir sprechen zunaechst ueber das Essen und sind noch Gaeste. Doch wir suchen den Kontakt und er ist ein Gespraechspartner auf Augenhoehe. Und so erfahren wir etwas ueber ihn, seine Familie, ueber das Glueck. Kurz vorher ein alter Rikschafahrer, mit dem wir kurz, aber intensiv ueber Religion und Glauben diskutierten. Gibt es Gott oder ? Wer ist es? Er entliess uns mit der Frage "What is the supernatural power?"
"Bapu Gandhi sagt, alle Religionen sind wahr", plapperte ich (Pi) los. "Ich will doch nur Gott lieben." Ich blickte zu Boden und wurde rot im Gesicht.
Das sind zwei positive Beispiele, von denen ich noch mehr erfahren habe. Satt bin ich trotzdem noch nicht. Die Entscheidung hier und dort auf einen "wichtigen Spot" eine weitere Beruehmtheit zu verzichten und dafuer Zeit fuer Spontanitaet zuzulassen ist meiner Ansicht nach der richtige Weg, um den Kaefig zu entfernen.
Morgen frueh geht es auf jedenfall wieder in den Kaefig - das Taj Mahal in Agra (suedlich von Delhi). An der Informationstafel wird stehen: "Ein Rudel gewoehnlicher Homo touristo. Ganztaeglich aktiv. Trinkt viel Wasser und Cola. IMMER gekuehlt aus der Flasche. Geniesst es seinen Fotoapparat zu benutzen und produziert endlos digitalen muell. Bitte nicht staendig nach seiner Herkunft oder seinem Namen fragen, da sonst irgendwann gereizt."

25. August 2009

#9 Rajastan





Ich bin woanders als zuvor. Chennai wurde von meinem Reisefuehrer so beschrieben: „...Die Kehrseite dieses schnellen wirtschaftlichen Wachstums ist eine städtische Infrastruktur, die kurz vor dem Zusammenbruch steht. Armut, erdrückende Hitze und Umweltverschmutzung hinterlassen wahrscheinlich einen stärkeren Eindruck von Chennai als der ins Auge stechende Reichtum seiner modernen, marmornen Einkaufspassagen.“
Und ehrlich gesagt fallen mir nur negative Eigenschaften ein, wenn ich Chennai beschreiben soll. Aber es hat mir trotzdem gefallen. Es war ein weiteres Zuhause in der weiten Welt.

Nun bin ich aber woanders - auf Reise durchs maerchenhafte Rajastan. Hier machen alte charismatische Menschen im Turban Musik auf seltsamen, kreativen Blas- und Klopfinstrumenten. Hier reihen sich farbige Haeuser unendlich weit die haenge hinauf. Halb Jodhpur ist indigo-blau. Weil dies kuehlt und Insekten vertreibt. In Udaipur liegt der Palast im See. Er schwimmt scheinbar. Ich erlebe ein Maerchen aus 1001 Nacht. Da die Zeit gerade knapp ist, lasse ich lediglich Bilder sprechen. Der Pi Patel hat sich diesmal auch noch auf seinem treibenden Floss (Hotelzimmer) versteckt und ist daher diesmal nicht zu sprechen. Der Ort am Fenster mit dem Vorhang kommt der Beschreibung des Vorhangs aus einem frueheren Post sehr aehnlich, oder?

Link meiner Tour in Rajastan:
http://maps.google.co.in/maps?f=d&source=s_d&saddr=NH+8&daddr=Jodhpur,+Rajasthan+to:jaisalmer&geocode=FV7UdgEdpHpkBA%3BFYoGkQEduz5aBA%3B&hl=en&mra=ls&sll=26.480407,72.883301&sspn=4.748461,7.064209&ie=UTF8&ll=25.948166,71.905518&spn=4.770208,7.064209&z=7)

21. August 2009

#8 Abschied / Chennai

Am 21.Juni 1977 brachen wir aus Madras auf, mit einem japanischen Frachter Tsimtsum, der unter Panamaflagge fuhr. [...] An unserem letzten Tag in Pondicherry verabschiedete ich mich von Mamaji, von Mr. und Mrs. Kumar, von meinen Freunden, sogar von vielen Fremden.[...]
Am tag vor dem Aufbruch wies sie (meine Mutter) auf einen fliegenden Zigarettenhändler und fragte: "Sollen wir noch ein Päckchen kaufen?" In Kanada gibt es auch Zigaretten", sagte Vater. "Und was willst du damit? Bei uns raucht doch keiner."
Sicher, in Kanada gibt es Zigaretten - aber auch von Gold Flake? gibt es Arun Eiscreme? Fahren die Menschen Ambassadors?


Lebe Wohl. Auf Bald. Mal wieder ein Abschied, ein Lebensabschnitt, ein Wunsch auf ein Wiedersehen. Unsere Chefs Kennedy und Sheila kommen gleich mit leckeren indischen Speisen. Cathy und Anne sollten schon längst hier sein. Ist aber nicht so wild, denn Mario zelebriert auch jetzt schon seine Cocktail Fähigkeiten aus ehemaligen Wohnheimszeiten. Erster Drink: Pina Colada!

Heute war ein Hardcore Tag. Morgens zu einer Vorlesung in die Uni, auf dem Weg ein Crash mit nem Auto (nichts passiert, nur der Roller hat ein paar Schrammen mehr und fährt etwas kurvig) dann noch Sachen kaufen für heute Abend. Zurück nach Hause. Vorher noch einen Cafe beim Coffee Day. Denkste! Polizeikontrolle! "Über rot gefahren" heißt es. Völlig an den Haaren herbeigezogen. Vor, hinter und neben mir waren noch andere Autos, Rickschas etc. Nur mich wollten sie halt! Ich war schon unter Zeitdruck (Fotos noch bearbeiten für Sheila, Sachen packen, GEschenk für die Volunteers machen, noch zum Office, Mittagessen, den Roller reparieren,...) und dann stehen die vier Typen da und denken sich einfach was aus! Die Diskussion dauerte länger und wir haben gestritten. Ich unterstütze den korrupten Aparat doch nicht! Schlußendlich kam es zu einem Kompromis. Statt 500 Rupien hab ich einen Hunni bezahlt (sprich 1,50 Euro), weil ich ohne Helm gefahren bin. Dabei gibt es gar keine Helmpflicht. Naja, leichte Aggressionen wurden durch Kaffe und Zigarette besänftigt.
Im Abschlussgespräch mit Kennedy und Sheila haben wir sehr offen diskutiert. Echt cool. Ich habe viel gelobt, aber auch kritisiert. Der Spielplatz ist weit entfernt ein Spielplatz zu sein, aber der Grundstein ist gelegt. Aber Mario und Anne werden in den nächsten Monaten sicherlich noch einige Hürden überwinden. Grundsätzlich müssen Sheila und Kennedy ihre Organisation und vor allem ihre Mitarbeiter qualitativ weiterentwickeln (Englisch und Projektmanagement), wenn sie erfolgreich bleiben wollen. Wir sind alle froh miteinander gearbeitet zu haben. Eine sehr intensive Zeit hier in Chennai. Noch zu frisch um Fazits zu ziehen, aber doch reif genug um in sich hinein zu hören und zu sagen: "Das war gut, das ich hier war! Für alle beteiligten!"

Jetzt genug mit dem Rückblick. Wie geht es weiter? Morgen früh mitm Flieger nach Udaipur in Rajastan im Norden. Dann wohl nach Jodhpur und definitiv nach Jaisalmer an der Grenze zu Pakistan. Von dort nach Delhi. Dort treffen mit Cathy und Anne. Geburtstag feiern. Dann Taj Mahal und von dort nach Mumbai. Dort eine Weile und dann über Dubai nach Deutschland. Was sich nach einem halben Jahr anhört dauert zwei Wochen. Aber keine Sorge liebe Reisebegleiter, wir sind doch alle gut darin in hektischen Zeiten die Oasen der Ruhe zu finden. Ein Cafe mit tollem Ausblick und entspannter Bedienung, barfuss laufen ueber einen von der Sonne aufgewaermten Marmorboden, eine weite Wüste, ein Platz auf dem Dach... Getreu dem Motto einer Trekkingmarke: "Es gibt tausend Arten von Lärm, aber nur eine Stille!"
Oh, es klopft. Die Gäste...

@Judith und alle Pondis: Ich war dort. Es wird noch einen Rückblick darauf geben!

P.S.: Der Abend war einfach mal hardcore. Wir sind nach der Verabschiedung in unserer wohnung ins Meridian Hotel und letztendlich auf einer Privatparty gelandet. Ein Haus, in dem der besitzer und seine freunde nur absteigen, wenn sie eine afterpartz brauchen. Es waren so 12 Leute da, ganz bunte mischung. Das interieur: Weisse ledersofas, moderne Kunst an den Waenden, zwei ebenen voller Prunk und Protz. Der Kuehlschrank gefuellt mit dem besten schnaepsen und weinen. Im Tiefkuehlfach Nudeln mit verschiedenen sossen zum Aufwaermen in der Mikro. Dazu noch zwei Angestellte, die alle machen,was der Gastgeber erwarten. Wir fuehlten uns etwas falsch dort, haben andererseits den luxus auch genossen. Der eine angestellte hat uns im weissen lexus nach hause gefahren. Dann noch ne stunde packen und ab ging es zum Flieger...

15. August 2009

#7 Monsun / Chennai

"Ich hörte ein Platschen und sah hinunter zum Wasser. Der Anblick verschlug mir den Atem. Ich hatte gedacht, ich sei allein. Die ruhige Luft, das wunderbare Licht, das Gefühl relativer Sicherheit - all das hatte die Illusion geweckt. In unserer Vorstellung sind ja Stille und Einsamkeit und Frieden untrennbar verbunden. Oder kann man sich vorstellen, dass man ruhig und friedlich in einer belebten U-Bahn-Station sitzt?"
[weiter ab Seite 295]


Ich glaube der Monsun hat Chennai heute abend um 1.15 erreicht, als wir den Club verlassen haben. Morgen geht es erst zum Bäume pflanzen auf den Spielplatz, dann nach Pondicherry. Träume werden wahr!

13. August 2009

#6 Reiseführer zum Tiger / Mudumalai National Park

"Kommt mit", sagte Vater.
Vom Haus gin es durch das Toor zum Zoo. [...]Wir kamen zu den Großkatzen, unseren Tigern, Löwen und Leoparden. Babu, der Wärter wartete schon auf uns.[...]Die Käfige waren leer, bis auf einen: MAHISHA, der Patriarch unter unseren bengalischen Tigern, durfte noch nicht nach draußen. Als wir eintraten, kam er sofort an die Käfigstäbe, mit einem furiosen Fauchen, die Ohren angelegt, die runden Augen fest auf Babu geheftet. Er fauchte so laut und wütend, dass das ganze Raubtierhaus zu beben schien. Mir schlotterten die Knie. Ich drückte mich an Mutter. Auch sie zitterte. Selbst Vater brauchte einen Moment, bis er sich gefasst hatte. Nur Babu machte der Wutausbruch und der Blick, der ihn durchbohrte, nichts aus. Sein Vertrauen in die Eisenstangen war unerschütterlich. Mahisha ging nun in seinem Käfig auf und ab, immer bis an die Stangen.
Vater stellte sich vor uns hin. "Was für ein Tier ist das?" Er musste brüllen, damit wir ihn durch Mahishas Fauchen hören konnten.
"Ein Tiger", antworteten Ravi (mein Bruder) und ich im Chor und bestätigten brav, was ja nicht zu übersehen war.
"Sind Tiger gefährlich?"
"Ja, Vater, Tiger sind gefährlich"
"Tiger sind sehr gefährlich", brüllte Vater. "Ihr müsst begreifen, dass ihr niemals - unter keinen Umständen - einen Tiger anfassen dürft; niemals dürft ihr ihn streicheln oder auch nur die Finger durch das Gitter stecken. Ist das klar, Ravi?"
Ravi nickte eifrig.
"Piscine?"
Ich nickte noch eifriger. Trotzdem sah er mich weiter an. [...]
"Ich werde euch zeigen, wie gefährlich Tiger sind", fuhr er fort. "Ich will, dass ihr diese Lektion behaltet, bis an euer Lebensende.
Er sah Babu an und nickte. [...]Babu öffnete einen Käfig neben dem Tigerkäfig. [...] Ziege [...]. Babu ging an die Tür zwischen den beiden Käfigen und begann, sie aufzuziehen.[...] In Erwartung seiner Beute verstummte Mahisha. Zwei Dinge hörte ich in der plötzlichen Stille - Vaters Worte "Vergesst diese Lektion niemals", den Blick grimmig auf das Schauspiel geheftet; und das Meckern der Ziege. Sie musste schon die ganze Zeit geschrien haben, aber wir konnten sie nicht hören. [...]
Ich weiß nicht mehr, ob ich das Blut spritzen sah, bevor ich mich in Mutters Arme flüchtete, oder ob ich es später in Erinnerung dazumalte, mit breitem Pinsel. Aber die Ohren konnte ich nicht verschließen. Was ich hörte, versetzte mich in äußerste vegetarische Panik.
[weiter ab Seite 71]
Am letzten Samstag war der erste Tag "Spielplatz-Bau für Kannagi Nagar/Thuraipakkam". Alles was nicht klappte und das was dann doch klappte, wäre einen weiteren Eintrag wert. Doch ich halte mich an Leif, der vor meiner Reise meinte: "Schön, dass du einen Blog hast, aber schreib bitte nicht immer vierseitige Einträge!"
Nun denn möchte ich euch von einem anderen Fetzen Indien erzählen. Dem Mudumalai National Park an der Grenze zwischen den Bundesstaaten Tamil Nadu(da wo Chennai liegt=da wo ich immer bin) zu Kerala. 10 Nachtzugstunden entfernt. Ein Tigersprung für indische Verhältnisse!

Mario und ich haben auf dem Weg zufällig vier Spanierinnen kennengelernt (Natalia, Natalia, Marta und Sofie),mit denen wir vor zwei Wochen in Kanchipuram (der Motorradtrip) im selben Hotel waren. Die kleine Welt mal wieder. Jeder Reisende kann hierzu seine Lied singen.
Wir wollten also mit denen in den Nationalpark. Tiere sehen! Sie hatten ne "private" Tour gebucht, für 200 Rupien den ganzen Tag in den Park, mit lokalem Guide und so. Eine von den Touren, die sich super anhören, aber der größte Alptraum sind. Uns holte ein Jeep vom Hotel ab. Geil! Doch der Jeep bringt uns nur zu einem größeren Bus, der schon voll ist und uns den ganzen Tag rumfahren soll. Wir werden unruhig. Ist das das, was wir wollen? Mit einer Reisegruppe im Bus unterwegs sein? Als der "Reiseführer" erzählt, dass wir zunächst die und die Filmspots und Filmdrehfirmen, Wasserfälle und sonstwie tollen Plätze sehen werden, graut es uns. Wir werden den Park, in dem wir Elefanten sehen wollen, nur am Rande touchieren. Vielleicht ein Foto aus dem Fenster des Busses heraus. Mario und ich erwachten aus diesem Alptraum. Wir wollen unsere eigene Tour. Zack raus. Anruf bei der Parkdirektion.
"Ja, privater Tourguide ist möglich". Einen Jeep angeheurt, der uns hinbringt und schon konnten wir unsere Tour starten. Die Spanierinnen, Mario, ich sowie unser Guide Sudesan Kuttappan, genannt Kutta. Dazu noch sein Kompagnion.
Auf einem viereinhalb stündigen Kletterweg wollen wir all die 320 Tierarten sehen, von denen Kutta spricht: Hier leben über 800 Elefanten, zig Wasserbüffel, Lippenbären, Asiatische Wildhunde, Streifenhyänen, Antilopen, Sambarhirsche, Muntjaks, Affen, Panther, Leoparden und es gibt sogar 42 bengalische Tiger. Ich denke an Richard Parker, aber auch an Mashita. Bewaffnet mit digitalen Kameras, Abenteuerlust und einem scharfen Auge machen wir uns auf den Weg durch den Wald, der immer wieder sein Erscheinungsbild änder: regenwaldartige Enge, weite Wiesen, von Elefanten "abgeholzte" Bambusansammlungen, blühende Heckensträucher usw. Unsere Blicke richten sich in alle Richtungen, doch wir sehen keine Tiere. Einfach nicht da! Da sehe ich ja im Schrebergartenviertel auf der Veddel größere und gefährlichere Tiere. Springende Kanninchen und bellende Hunde und so!

Die ersten zwei Stunden vergehen. Ein paar kreischende Affen, seltsame Vögel, ein Dschungelhuhn, einen Pfau, irgendwann auch mal Wasserbüffel und zwei "Bambis"(Kutta). Das soll jetzt nicht überzogen klingen, aber ich hab mehr erwartet. "Bambis" kenn ich aus dem Paterholz in Beckum und die anderen Tiere sind schön, aber ich will richtige Tiere. Ich will endlich Elefanten sehen. Ok, ein freilebender bengalischer Tiger wäre auch ein Traum, aber den sieht selbst Kutta maximal einmal im Monat.
Mehr und mehr beginne ich an all dem zu Zweifeln, was Kutta sagt, fange an nachzurechnen. All diese Tiere verteilen sich auf eine Fläche von 320 Quadratkilometer, was fast der Fläche von Deutschlands entspricht. Und in diesem Gestrüpp, das so groß ist wie Deutschland will er mir einen der 800 Elefanten zeigen! Klar, er ist hier aufgewachsen, kennt den Park in und auswendig und sowas bekommt man dann zu hören. Natürlich hat er auch noch "seine" Story anzubieten, als er schonmal von einer wildgewordenen Elefantenmutter angefallen wurde und nur haarscharf überlebte. Der Park ist wunderschön. Die Landschaft nach dem vorherigen sintflutartigen Regenfall rein und erfrischt und doch atemberaubend. "Nach dem Regen haben wir gute Chancen Elefanten zu sehen". Leise schleichen wir uns hinein. Wir tierhungrigen Touristen folgen brav unserem Führer. Seine Schritte werden langsamer. Er hebt die Hand und bedeutet uns damit sofort stehenzubleiben. Kein Wort. Irgendwo entfernt knackt etwas. Der Gedanke, der bengalische Tiger Mahisha oder auch Richard Parker könnte sich gleich auf mich stürzen erzeugt in mir ein Masala aus Reiz, Angst und Neugier. Doch wieder nichts. Der Abenteuerkick war schön, aber schon wieder kein Tier gesehen. Wir gehen weiter. Die Mädels haben irgendwelche Blutegel am Bein, das war es aber auch schon die größte Gefahr. Keine gefährlichen Tiere! Der Nachmittag ist vorbeigezogen, wir schießen Gruppenfotos mit unseren Guides, die schon etwas den Charakter von Abschied haben. Noch nicht mal einen Elefanten gesehen! Die dämmrige Sonne und die Zeit für Gedanken lassen die Realität immer klarer erscheinen.

Klar, Kutta konnte uns all die Hinweise auf Elefanten zeigen: Schlammsulen, umgerissene Bambusstauden und Laubbäume, mit dem Rücken abgeriebene Rindenbrocken und auch eine unzählbar große Zahl Elefantenhaufen. Wirklich aufregend allerdings war ein Antilopenskelett auf einem Baum. Wohl von einem Panter. Ich glaube, dass es diese wilden Tiere wirklich hier gibt, aber sie sind einfach Humanophob. Kommt ein Mensch in die Nähe, dann fangen sie an verstecken zu spielen. Und das können sie gut! Eckstein, Eckstein alles muss versteckt sein. Klar, die Raubtiere verkriechen sich auf die Bäume, in Unterschlüpfe oder Höhlen. Wasserbüffel sind ja irgendwo Kühe. Sie bleiben einfach stehen und machen nichts. Das können sie gut. Kleinere Tiere verziehen sich ins Unterholz, Vögel in ihre Nester. Aber der eigentliche König in diesem Spiel ist der Elefant. Ein Elefant ist scheinbar brilliant darin, seinen massigen Körper arg lautlos zu verbergen. Einmal haben wir dann doch einen gehört, der Laute aus seinem Versteck gegeben hat. Nach und nach Bäume sahen wir fallende . Wir konnten sogar sehen, wie in drei Meter Höhe Äste abgerissen wurden. Wir haben den Elefanten schon angezählt, aber gesehen haben wir ihn schlussendlich nicht!
Kutta zog uns weiter. Wir konnten kaum gehen, weil wir doch wussten, dass in 40 meter Entfernung ein Elefant sein muss , den wir sehen wollen. Blende und Belichtung der Kamera sind im manuellen Modus entsprechend den Lichtverhältnissen eingestellt. Nichts da. Kutta setzte sich durch und so sollten wir das Reservat Mudumalai ohne die Bilder verlassen, die wir uns vor unseren inneren Augen zuvor gemacht hatten! Ein beeindruckender Tag, an dem ein bisschen Wehmut zurückbleibt, doch etwas verpasst zu haben.

Doch dann kommt alles alles. Tiger, Tiger brüllt uns ein Fremder Inder mit tiefer Stimme im Flüsterton entgegen. Er zeigt das Zeichen an, was für mucksmäuschenstille steht. Schnell, aber jeden Schritt bedacht folgen wir ihm auf einen 5 meter hohen Felsbrocken. Ein Fotograph mit Telezoom auf einem Stativ sind das erste was wir sehen. Die Linse zeigt direkt auf zwei bengalische Tiger! Auch wenn sie ca. 70 Meter entfernt sind, so erkennt man doch ihre Streifen und die Nackenhaare, die sich wie eine Rolle hinter dem Kopf auftürmen, wenn das liegende Männchen den Kopf zu uns dreht. Du bist also mein Richard Parker! Hallo! Auch wenn der Tiger viel zu weit weg ist für ein scharfes Foto, so säusel ich ihm ein leises "Hallo" entgegen. Bin gebannt und glücklich. Das Weibchen steht daneben, bewegt sich langsam und genüsslich hin und her, verschwindet nach einiger Zeit. Irgendwann läuft Kutta - unser Guide - wie ein geisteskranker in Richtung Tiger. Dieser verhält sich nicht wie Mahisha mit der Ziege, sondern dreht sich um und läuft in Richtung Dschungel.

"Ich war mir sicher, dass er sich nun zu mir umdrehen würde. Er würde mich ansehen. Er würde die Ohren anlegen. Er würde knurren. Etwas in dieser Art würde er tun, zum Abschluss der Zeit, die wir miteinander verbracht hatten. Aber er dachte gar nicht daran. Sein Blick war starr auf den Dschungel gerichtet. Und dann verschwand Richard Parker, der Gefährte meiner langen Reise, der mächtige, angsteinflößende Tiger, der mich gerettet hatte, mit einem kleinen Sprung für immer aus meinem Leben."
P.S.: Sorry Leif, hat nicht geklappt mit der Kürze, obwohl ich schon so viel ausgelassen habe, was an Geschichten und Bildern entstanden ist.

7. August 2009

#5 Warum ziehen Leute fort? / Thuraipakkam

"Warum ziehen Leute fort? Was bringt sie dazu, ihre Wurzeln auszureißen und alles Vertraute zurückzulassen, aufzubrechen zu einem großen Unbekannten jenseits des Horizonts? Warum den Mount Everest der Behörden besteigen und sich wie ein Bettler dabei fühlen? Warum in einen fremden Dschungel gehen, wo alles neu, anders und gefährlich ist?
Die Antwort ist überall die gleiche: Sie ziehen fort, weil sie auf ein besseres Leben hoffen."
(weiter ab S.138)
Die Menschen in Thuraipakkam (2 stunden südlich von Chennai) haben ihre Wurzeln woanders. Sie lebten in den Slums in der Innenstadt, am Strand von Santhom und in anderen Gebieten. 13 Slums wurden geschlossen, damit Chennai eine Blüte touristischer Schönheit werden kann - nach Vorstellung der Regierung. 70.000 Menschen wurden umgesiedelt und leben jetzt in Thuraipakkam. Die Gleichförmigkeit der Gebäude erinnert an kommunistische Siedlungen, doch die sichtbare Armut erinnert eher an Ghettos. Die Infrastruktur ist mies: keine staatlichen Schulen in der Nähe, keine ärztliche Versorgung, Entfernung in die Stadt 2 Stunden, die Wassertanks werden nur 2 mal die Woche gefüllt, die Müllabfuhr kommt fast garnicht. Trotzdem haben die Menschen hier objektiv gesehen mehr als vorher, denn jetzt haben sie Steinhäuser, die sogar halbwegs akzeptable Wohnungen beinhalten. Doch eins haben sie nichtmehr: Ihr Zuhause, ihre Heimat!
Nur so kann ich mir erklären, wieso sie so mit "ihrem" neuen Ort umgehen. Innerhalb der Reihenhaussiedlung befindet sich Brachland, bestehend aus Geröll und Müll. Im Nutzungsplan der Stadt wird diese Fläche als "Park" bezeichnet.
UDAVI möchte hier gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen einen Raum schaffen, in dem diese toben, spielen und sich ausprobieren können. Für den sie aber auch nach und nach Verantwortung übernehmen müssen. Was heißt das? Morgen beginnen wir dort einen Spielplatz zu bauen (siehe Grafik). Das Konzept und die Planung habe ich diese Woche mit den Mitarbeitern von UDAVI und den Volunteers ausgearbeitet. Das Budget ist sehr klein, so dass zunächst Handarbeit angesagt ist. Sponsoren für Spielgeräte suchen wir in der nächsten Woche. Ich bin gespannt, wie der Tag morgen abläuft. Ca. 25 Kinder und Jugendliche laufen da morgen auf, Schaufeln und Schubkarren hat Jessudoss hoffentlich organisiert. Ein wenig habe ich die Mentalität der Inder schon kennengelernt, so dass ich weiß, dass die Lebensdauer von Planungen eher kurz ist. Doch ich habe auch erfahren, welche Begeisterung die Jugendlichen an den Tag legen können.
Die Hoffnung ist, mit diesem Ort, den sie sich selbst gestalten ein Stück zuhause zu schaffen und so das Leben zu verbessern.

5. August 2009

#4 Vorhang zur Welt / Mamallapuram

"Ich aß mit Vergnügen und beobachtete den Sonnenuntergang bei wolkenlosem Himmel. Es war ein Augenblick der Entspannung. Das Himmelsgewölbe erstrahlte in den herrlichsten Farben. Auch die Sterne wollten ihren Teil dazu beitragen; kaum hatte sich die bunte Decke ein wenig gelüftet, da begannen sie schon auf tiefblauem Untergrund zu funkeln. Es wehte eine sanft, laue Brise, und die See bewegte sich sanft; die Wellen wirkten wie Tänzer, die bei einem Rundtanz in der Mitte zusammenkommen, die Hände heben und sie dann im Auseinandergehen wieder sinken lassen, und das immer und immer wieder."
[weiter ab Seite 294]
Am letzten Wochenende war ich mit Mario, Anne und Cathi in MAMALLAPURAM. Einem kleinen Touristenort: In Cafés Fruchtsäfte und Chai trinken, Garnelen in Restaurants am Sandstrand, Mondbeobachten auf den Felsen zur Brandung des Pazifik, mit dem Moped treiben und Gedanken streifen lassen:

Das Leben ist wie ein Vorhang, der verschiedenste Ausprägungen haben kann.
Der Vorhang kann aus dickem schwarzen Moltonstoff sein wie er auf Theaterbühnen verwendet wird, dessen Farbe allein schon Schwere enthält, die nach unten zieht. Je nach Gemütslage kann die Schwere durch Feuchtigkeit oder im Saum liegende Bleikugeln noch verstärkt werden. Ein frischer Windstoß bringt diesen Vorhang nicht aus der Starre, und es scheint als ließe sich der Vorhang nicht öffnen, oder verschieben. Dieser Vorhang kennt die Sonne nur aus Erzählungen und ist doch ein Strahl zu sehen, so saugt dieser schwarze Körper ihn auf, absorbiert ihn, bevor im Inneren auch nur eine Idee von Wärme entstehen kann.
Doch der Vorhang kann auch leicht und luftig sein. Aus beschem (@all: wie schreibt man diese Farbe?) fein gewebtem Leinenstoff, vielleicht so dünn und beweglich wie ein Segeltuch. Er schlägt leichte Wellen, wenn die Zunge des Windes ihn streichelt. Anstatt träg herabzuhängen bewegt er sich im Spiel mit Wind und Sonne in unrythmischer Weise. Er nimmt das Sonnenlicht auf der einen Seite auf, und hinterlässt auf der anderen, der inneren Seite ein wohlig warmes Gefühl der Geborgenheit. Das grelle Licht wird so angenehm gedämpft, dass es weich und greifbar wird. Möchte man den Stoff berühren, so bewegt er sich wie wellenförmig, aber drucklos wie ein Netz und zart wie Samt über die Haut. Dieser Vorhang bleibt so unverbindlich wie ein Feder und doch bleibt das angenehme Empfinden zurück, eine Welle gesehen zu haben.
Vorhang zu! MAMALLAPURAM!